Ein Abend zum Thema des musikalischen Schaffens kann sehr langweilig sein. Vor allem deshalb, weil das Thema an sich Rätsel aufgibt ist – vergleichbar mit jenen Rätseln, die jede Schöpfungsgeschichte umgeben. Die Erklärung des musikalischen Schaffens führt im Allgemeinen zu zwei unerfreulichen Ergebnissen: zielloses Umherirren zwischen widersprüchlichen philosophischen Auffassungen oder die totale Ablehnung von etwas, das von Natur aus Logik und Erklärungen widerspricht.
Im Wissen über diese Ausgangslage haben der Verein Jazzy Jams und die SUISA am Donnerstag, dem 25. Januar 2018, einen Abend in der Schweizerischen Nationalphonothek in Lugano veranstaltet, der dem musikalischen Schaffen gewidmet war. Da stellte sich natürlich die Frage, wie man den Abend gestalten kann, ohne in der oben beschriebenen, schicksalhaften Sackgasse zu landen.
Spontanes Komponieren vor Publikum
Die Idee war, drei eingeladene Musikurheber direkt ins Thema eintauchen zu lassen; in eine Situation, die so praxisbezogen und konkret ist, dass es weder Platz für philosophische Diskussionen noch peinliches Schweigen gibt.
Aber wie genau? Indem wir jedem von ihnen eine Einladung eines imaginären Komitees zukommen liessen. Sie wurden eingeladen, an einem neuen Projekt mitzuarbeiten. Der Text, der erst zu Beginn des Treffens enthüllt wurde, war folgender:
«Jazzy Jams will seinen neuen Saal mit einer Reihe von Konzerten einweihen und lädt Musiker aus der italienischsprachigen Schweiz ein, spontan ein künstlerisches Werk zu konzipieren. Es handelt sich um eine Aufführung in einem modular aufgebauten und technisch gut ausgestatteten Raum mit einer Kapazität von 400 Plätzen. Das Kompositionsbudget beträgt Fr. 5000, für die Realisierung stehen Fr. 15 000 zur Verfügung. Die Zeit für Konzeption/Realisierung beträgt neun Monate. Es gibt keine Vorgaben zu Musikstil oder Dauer, und der Komponist wird einen ganzen Abend für sich haben.»
Bedingung für jeden Urheber respektive die Urheberin war lediglich, der Öffentlichkeit seinen ganz eigenen kreativen schöpferischen Prozess aufzuzeigen – in einer Art laut ausgesprochenem inneren Dialog.
Maria Bonzanigo, Pietro Viviani und Damiano Merzari (von der Band The Pussywarmers) haben sich grosszügig für dieses Projekt zur Verfügung gestellt, indem sie – in einem ungewöhnlichen öffentlichen Brainstorming – ihre normalerweise privatesten kreativen Vorgehensweisen enthüllten.
Verschiedene Musikstile, verschiedene Herangehensweisen
Das Ergebnis war fesselnd: mitreissend, überraschend und manchmal auch ironisch. Unter anderem, weil die Musikgattungen (Theater- und Konzertmusik bei Bonzanigo; Jazz, Soundtracks und Konzertmusik bei Viviani; Independent-Rock bei Merzari) äusserst unterschiedliche Zugänge zum gleichen Phänomen aufgezeigt haben, die wir – einfallslos, aber stolz – alle mit dem gleichen Begriff «Musik» bezeichnen.
Aus der Diskussion sind – neben soliden technischen und poetischen Gewissheiten – auch verschiedene Zweifel und Fragen hervorgegangen. Und vielleicht waren das die interessantesten Momente des Anlasses. Sie enthüllten den kreativen Prozess nicht nur als eine Gleichung, die mit einem einzigen möglichen Ergebnis gelöst werden kann, sondern auch als ein Stück Leben, das es zu bereisen gilt, mit den unvermeidlichen damit einhergehenden Überraschungen.
Im zweiten Teil des Abends ist das Thema des Schaffensprozesses etwas in den Hintergrund gerückt; es ging um die Frage, ob kreatives Schaffen lehrbar sei. Und wenn ja, wie?
Tamara Basaric vom Conservatorio della Svizzera italiana, Giorgio Meuwly und Marco Conti von der Scuola di Musica Moderna sowie Andrés Ortiz von der Scuola di Musica e di Arti Creative waren die Didaktiker (sowie Urheber) und antworteten in einer ebenso fachmännischen wie spannenden Art und Weise.
Links
Jazz in Bess
Maria Bonzanigo
Pietro Viviani
The Pussywarmers
Der Gastautor Zeno Gabaglio ist SUISA-Vorstandsmitglied, Komponist und war Ko-Moderator der Gesprächsrunde am Jazz in Bess.