Die Resultate kreativen Schaffens sind nicht bloss die Dekoration einer Gesellschaft, sondern ihnen kommt grosse (wirtschaftliche) Bedeutung zu. Musik zum Beispiel ist nicht einfach da, sie muss geschaffen werden. Und «schaffen» tun wir bekanntlich nicht gratis, weder im schweizerdeutschen noch im hochdeutschen Sinn des Wortes.
Das Urheberrecht stellt eines der wenigen Instrumente zur Monetarisierung kreativer Leistungen dar. Es schützt literarische und künstlerische Werke, wozu auch Musik gehört. Im Urheberrechtsgesetz ist nicht nur der Schutz, sondern auch der Zugang zu Werken respektive die Beschränkung des Schutzes geregelt. Wenn der Zugang komplett verboten wäre, würde sowohl Wissenschaft wie kreatives Schaffen gehemmt, weil die Auseinandersetzung mit dem Überlieferten erschwert würde. Folglich bewegen sich urheberrechtliche Fragestellungen immer in einem Spannungsfeld zwischen Schutz- und Freihaltebedürfnis.
Die künstliche Intelligenz (KI) reiht sich als neueste Herausforderung in dieses Spannungsfeld ein. Aus urheberrechtlicher Perspektive sind im Umgang mit Anwendungen generativer KI zwei Punkte besonders interessant. Erstens der Input: Für das KI-Training werden urheberrechtlich geschützte Werke in eine Datenbank importiert. Zweitens der Output: KI schafft neue immaterielle Güter.
Input – die Speisung der KI-Datenbank
Künstliche Intelligenz kann zwar Neues schaffen, allerdings nicht aus dem Nichts heraus. Die dazu nötigen «Rohstoffe» bezieht sie aus ihrer Datenbank. Und darin enthalten sind unter anderem urheberrechtlich geschützte Werke.
Nach schweizerischem Recht haben Urheberinnen und Urheber das alleinige Recht zu bestimmen, ob, wann und wie ihre Werke verwendet, insbesondere kopiert (vervielfältigt) werden. Die Betreiber/innen von KI-Anwendungen bräuchten deswegen grundsätzlich das Einverständnis bzw. eine Lizenz von den Rechteinhaberinnen und Rechteinhabern, um für das Training ihrer Algorithmen Werke in ihre Datenbank kopieren zu dürfen.
Die Speisung der KI-Datenbank könnte rechtens sein, wenn eine gesetzliche Schrankenbestimmung anwendbar wäre. In Frage kommt etwa die Schranke der Verwendung von Werken zum Zweck der wissenschaftlichen Forschung (Art. 24d URG). Dass KI für die wissenschaftliche Forschung eingesetzt wird, ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die herkömmlichen KI-Anwendungen sind jedoch nicht auf diesen Zweck ausgerichtet. Die sogenannte Wissenschaftsschranke kommt deshalb in den allermeisten Fällen nicht zur Anwendung. Deshalb müsste für die vorgenommenen Vervielfältigungen eine Einwilligung der Rechteinhaber/innen eingeholt werden.
Unklar ist, wie man mit den länderspezifischen rechtlichen Unterschieden umgehen soll. Im europäischen Recht gestattet die Schrankenbestimmung für Text- und Data-Mining mehr als die schweizerische Wissenschaftsschranke und ist auch in Bezug auf die KI-Datenbankspeisung anwendbar. Betroffene Rechteinhaber/innen haben aber eine Opt-Out-Möglichkeit. Das heisst, sie können trotzdem bestimmen, ob, wann und wie die KI-Betreiber/innen ihre Werke verwenden dürfen, wenn sie von ihrem Opt-Out Gebrauch machen.
Das europäische Modell erscheint einerseits fragwürdig, weil die Überprüfung, ob Werke genutzt werden, für welche vom Opt-Out Gebrauch gemacht wurde, aufgrund fehlender Transparenz (Stichwort: KI-Blackbox) schwierig umsetzbar wird. Andererseits kann es aber dazu dienen, die Akteurinnen und Akteure dieser wachsenden Branche an den Verhandlungstisch zu zerren – um für die Kreativen ein Entgelt, eine Lizenzgebühr auszuhandeln.
Output – künstliche oder künstlerische Schöpfung?
Es ist nicht Aufgabe des Urheberrechts, darüber zu urteilen, was Kunst ist. Es ist aber Aufgabe des Urheberrechts, festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Kunst geschützt ist. Und interessant ist diese Frage vor allem in Bezug auf KI-generierte Schöpfungen, den sogenannten Output.
Das Urheberrechtsgesetz definiert das geschützte Werk als geistige Schöpfung der Literatur und Kunst mit individuellem Charakter. Um Schutz zu erlangen, muss eine Schöpfung also geistig im Sinne von immateriell sein, aber auch geistig in dem Sinn, dass sie auf einer gedanklichen Tätigkeit beruht. Gleichzeitig muss diese gedankliche Tätigkeit eine schöpferische sein, d. h. das Hervorgebrachte muss insofern neu sein, als es seinen Ursprung im Geiste des Urhebers oder der Urheberin hat.
Voraussetzung für das Vorliegen einer geistigen Schöpfung ist somit, dass etwas Immaterielles gedanklich geschaffen wird. Zwar generiert KI Immaterielles, jedoch aber schafft sie dies weder gedanklich – diese Fähigkeit ist dem Menschen vorbehalten –, noch hat das Geschaffene seinen Ursprung im Geiste einer natürlichen Person (Urheber/in), sondern in einem – zugegebenermassen komplexen – Algorithmus. Reine KI-Schöpfungen sind aus diesem Grund nicht urheberrechtlich geschützt.
Anders ist diese Frage zu beurteilen, wenn die KI kein fertiges Endprodukt liefert, sondern lediglich als Werkzeug dient, während der Mensch die Herrschaft über den Gestaltungsprozess behält. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn die KI nur eine Idee liefert, die lediglich den Ausgangspunkt für die Entstehung eines neuen Werks darstellt. Dann gilt es im Einzelfall zu prüfen, ob eine geistige Schöpfung der Literatur und Kunst mit individuellem Charakter vorliegt. Sind diese Werkschutzvoraussetzungen erfüllt, handelt es sich trotz eingesetzter KI um ein urheberrechtlich geschütztes Werk.
Aussichten
Die individuelle Verwertung von Urheberrechten gestaltet sich ohnehin schwierig, insbesondere aber im Zusammenhang mit KI-Vervielfältigungen. Die SUISA betreibt seit hundert Jahren kollektive Rechteverwertung im Auftrag ihrer Mitglieder und Auftraggeber/innen. Im Gegensatz zur individuellen Verwertung bringt die kollektive Verwertung den Vorteil mit sich, dass zahlreiche individuelle Rechte gebündelt geltend gemacht werden können.
Auch im Umgang mit Werkverwendungen durch KI wird die SUISA nicht mit dieser Tradition brechen. Sie wird alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um sicherzustellen, dass Urheberinnen und Urheber, Verlegerinnen und Verleger sowie Textautorinnen und Textautoren von musikalischen Werken baldmöglichst rechtmässig entschädigt werden. Bevor die Lizenzierung urheberrechtlich geschützter Musikwerke bei Verwendungen durch die KI aber durchgesetzt werden kann, werden sich einige Rechtsunsicherheiten noch klären müssen, durch gerichtliche Beurteilungen, rechtswissenschaftliche Forschung, Gesetzgebung sowie durch den internationalen Rechtsvergleich und Informationsaustausch.
Die SUISA bringt sich bislang und weiterhin in all diese Diskurse ein: Sie bringt sich mit ihrer Expertise aktiv in den rechtswissenschaftlichen und politischen Diskurs ein, unterhält und stärkt ihre internationalen Beziehungen in Dachverbänden und in direkter Weise mit ausländischen Schwestergesellschaften, engagiert sich in inländischen interessenspezifischen Zusammenschlüssen, entwickelt ihre KI-Strategie beständig weiter – und sie ist deswegen zuversichtlich, auch diese neue Herausforderung im Auftrag und zu Gunsten ihrer Mitglieder und Auftraggeber/innen zu bewältigen.
Medienmitteilung, 11 März 2024: «Künstliche Intelligenz: Die SUISA setzt sich für eine faire Vergütung ihrer Mitglieder ein» (PDF, 94 KB)
Liebes Suisa-Team
Mit großem Interesse habe ich diesen Blog-Beitrag zum Thema KI in der Musikerstellung gelesen.
Beim Lesen des Artikels ist mir eine Frage aufgekommen, die ich noch nicht vollständig beantworten konnte:
Ist es nun zulässig, mithilfe von KI Musik zu erstellen und diese in den sozialen Medien zu veröffentlichen und gegebenenfalls sogar damit Geld zu verdienen?
Ich habe auf suno.com als Experiment meine Songtexte mit KI-generierter Musik kombiniert.
Dabei sind bemerkenswerte Songs entstanden, allerdings sind die KI-Stimmen sehr ähnlich wie die Stimmen von schweizweit sehr bekannten Sänger/innen. Fast schon als würde wirklich diese/r Sänger/in meinen Songtext singen! (wow. Ich fühle mich geehrt)
Das deutet ganz klar darauf hin, dass deren Stimmen für das KI-Training verwendet wurden.
Dies wirft die Frage auf, ob es rechtlich problematisch ist, solche Songs hochzuladen (ohne zu behaupten, es handele sich um Originalwerke der genannten Künstler), sondern sie lediglich als eigene Songtext-Kreationen unter Verwendung von KI zu kennzeichnen.
Ich liebe diese schweizerischen Orginal-Künstler/innen und es macht so Spass meine eigenen Songtext mit deren coolen Stimmen zu erstellen. Und ich will einen respektvollen Umgang damit finden.
Ich fände es interessant, wenn in solchen Fällen ein Teil der möglichen Einnahmen an die Künstler gehen würde, deren Stimmen durch die KI imitiert werden. Ich würde das mehr als fair finden!
Zudem birgt die Nutzung von KI-Stimmen das Risiko des Missbrauchs, indem den Künstlern Aussagen in den Mund gelegt werden könnten, die sie niemals tätigen würden.
In meinem Fall habe ich jedoch respektvolle und stilvolle Texte verfasst.
Wie Sie in Ihrem Artikel schreiben, ist dieses Thema weltweit bei vielen Urheberrechtsgesellschaften noch nicht abschließend geklärt, und es bleibt abzuwarten, wie die Musikindustrie darauf reagieren wird.
http://www.suno.com schreibt zwar dazu, wie sie das rechtlich sehen. Doch es wird auch gesagt, dass es je nach Land eine andere rechtliche Situation gibt.
Ich will das gerne rechtlich klären, wie das ist wenn ich diese erstellten Kreationen in das Internet stelle?
Ich bin gespannt auf Ihre Einschätzung.
Danke.
Lieber Romeo
Danke für deine Fragen und deine respektvollen Absichten.
Wir sind in Bezug auf den Umgang mit generativer Künstlicher Intelligenz (GenAI) derzeit noch mit grossen Rechtsunsicherheiten konfrontiert. Zudem lassen sich solche Fragen meist nicht allgemeingültig beantworten, ohne dass man die genauen konkreten Umstände kennt. Dennoch geben wir dir gerne Einblick in die aktuelle Rechtslage:
Für die Beantwortung deiner Frage, ob es zulässig ist, mithilfe von GenAI Musik zu erstellen, diese in den sozialen Medien zu veröffentlichen und gegebenenfalls damit Geld zu verdienen, gilt es Folgendes zu beachten:
Musikalische GenAI-Tools (Suno, Udio etc.) bieten ihre Produkte bzw. Dienstleistungen einerseits (teilweise) gegen eine Abogebühr, andererseits unter der Bedingung der Einwilligung in ihre AGB an. In den jeweiligen AGB sind die Grenzen der Nutzung vertraglich (Veröffentlichung, Monetarisierung des Outputs etc.) abgesteckt. Diese Bedingungen variieren von Anbieter zu Anbieter. Ein Blick in die AGB lohnt sich also.
Wie du zudem richtig schreibst, ist der Output von GenAI in einigen Fällen zum Verwechseln ähnlich mit bereits Bekanntem. In dem von dir beschriebenen Fall lassen sich Stimmen von bekannten Sänger/innen wiedererkennen, in anderen Fällen sind es bestehende Kompositionen, die sich im Output der GenAI zu erkennen geben (vgl. z. B. die Folge «GEMA verklagt nach Chat GPT jetzt auch die KI-Anwendung Suno» (https://www.deutschlandfunkkultur.de/gema-verklagt-nach-chat-gpt-jetzt-auch-die-ki-anwendung-suno-100.html) aus dem Podcast Tonart).
Wir, die SUISA, verwerten Urheberrechte an Musikwerken. Das Recht an der eigenen Stimme und das Recht an der eigenen Komposition sind zwei verschiedene Dinge. Das Recht an der Stimme fällt in erster Linie unter das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Zivilgesetzbuch, ZGB), das Recht an der eigenen Komposition leitet sich in erster Linie aus dem Urheberrechtsgesetz (URG) ab.
Richtigerweise schreibst du, dass mit der Nutzung von KI-Stimmen das Risiko des Missbrauchs einhergeht, weil den Personen «Aussagen in den Mund gelegt werden könnten, die sie niemals tätigen würden». Da das Recht an der eigenen Stimme ein Persönlichkeitsrecht ist, spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob du eine fremde Stimme verwerfliche oder respekt- und stilvolle Texte aussprechen lässt. Eine weitergehende rechtliche Analyse können wir dir hier aber nicht geben, da uns die Details zum konkreten Sachverhalt fehlen und wir dazu auch nicht die richtige Anlaufstelle sind – wie gesagt: die SUISA ist das Kompetenzzentrum in urheberrechtlichen, nicht in persönlichkeitsrechtlichen Fragen.
Oft lassen sich komplexe Rechtsfragen aber auch intuitiv beantworten:
Wie würdest du dich fühlen, wenn du dich selbst plötzlich öffentlich Dinge hören sagst, die du nie gesagt hast? Wir fänden das ziemlich unheimlich und raten davon entschlossen ab.
Freundliche Grüsse
Noah Martin, SUISA
Lieber Noah,
vielen Dank für deine klärende Antwort.
Tatsächlich ist es eine beunruhigende Vorstellung, wenn einem Worte in den Mund gelegt werden, deren Urheberschaft nicht bei einem selbst liegt. Das zeigt die Schattenseite dieser Technologie. Gleichzeitig wäre es schade, ihr Potenzial nicht zu nutzen – insbesondere, wenn sie auf eine Weise eingesetzt werden kann, die fair und kreativ bereichernd ist.
Mein Wunsch ist es, rechtliche Klarheit zu erhalten, damit Songtextautoren wie ich diese faszinierende Technologie nutzen können, ohne rechtliche Unsicherheiten befürchten zu müssen. Ich sehe großes Potenzial – sowohl für Musikerinnen und Musiker, die durch KI-generierte Musik eine zusätzliche faire Vergütung erhalten könnten, als auch für Songtexter und Dichterinnen, deren Werke durch neue Interpretationen zum Leben erweckt werden.
Die Musikgeschichte zeigt, dass viele Texte erst durch ihre Vertonung zu bedeutenden Kulturgütern wurden – denken wir an Von guten Mächten von Dietrich Bonhoeffer oder Heidenröslein von Goethe. Ebenso könnte KI-Musik es ermöglichen, Songs in neuen Stilrichtungen zu erleben, während die Urheberinnen und Urheber fair vergütet werden.
Ein schönes Beispiel für die Freude an Neuinterpretationen bietet die TV-Sendung Sing meinen Song auf OnePlus, die bei Zuschauerinnen und Zuschauern großen Anklang findet. Auch die beteiligten Künstlerinnen und Künstler genießen es, ihre eigenen Songs in professionellen Neuinterpretationen zu erleben: https://www.oneplus.ch/catalog/1000605.
Danke auch für den Hinweis zum „Recht auf die eigene Stimme“. Natürlich hätte ich keinerlei Freude daran, wenn mir ungewollt Worte in den Mund gelegt würden. Gleichzeitig würde ich es als Sänger aber spannend finden, mich selbst mit einem neuen, großartigen Songtext singen zu hören. Ich erinnere mich an eine Situation, in der eine Singer-Songwriterin einen meiner Songs coverte – es war ein tolles Erlebnis, ihre Version zu hören.
Bei meiner Recherche bin ich zudem auf eine US-amerikanische Anwältin gestoßen, die sich intensiv mit KI-generierter Musik beschäftigt: https://www.youtube.com/@TopMusicAttorney.
Vielen Dank auch für den Link zur GEMA-Klage. Das vorgeschlagene Zwei-Säulen-Lizenzmodell klingt nach einem sinnvollen Ansatz.
Hoffentlich gelingt es der GEMA und der SUISA, eine faire Lösung auszuhandeln. Musikerinnen und Musiker haben jahrelang ihr Handwerk perfektioniert. Sie haben viel in ihr Equipment investiert und unzählige Stunden mit Komposition verbracht. Diese Arbeit muss angemessen entlohnt werden.
Beste Grüße
Romeo