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«Wir Komponisten sind wie Chirurgen an den Seelen der Menschen»
Neu bei der SUISA: Sebastian Androne-Nakanishi.
Foto: Markus Ganz
Text von Gastautor Markus Ganz
Der rumänische Komponist Sebastian Androne-Nakanishi hat schon in jungen Jahren internationales Aufsehen erregt. 2019 zog er in die Schweiz und ist vor Kurzem der SUISA beigetreten.

Die Musik von Sebastian Androne-Nakanishi ist schwer fassbar: Der 1989 geborene Rumäne komponiert sowohl Orchesterwerke, Kammermusik und Chorwerke wie auch Soundtracks für Film, Theater und Games. Er sei «ein wahres Talent, das Kreativität und Vielseitigkeit vereint», steht in der Begründung zur Auszeichnung als «Composer Of The Year 2022» der International Classical Music Awards. Zu seinen vielen Preisen gehört auch das «Golden Eye» des Internationalen Filmmusikwettbewerbs für den Soundtrack zum Animations-Kurzfilm «Happiness» – 304 Komponistinnen und Komponisten aus 44 Ländern hatten sich beworben.

Und doch gibt sich Sebastian Androne-Nakanishi im Interview bescheiden, ja demütig. «Manchmal fühle ich mich richtig klein mit all den Giganten von Komponisten hinter mir, deren Werke wir in der Ausbildung ja auch analysieren. Eingeschüchtert fühle er sich manchmal auch an Festivals für zeitgenössische Musik, aber nur zu Beginn. «Da präsentieren mir unbekannte Komponisten derart schlaue Theorien und Algorithmen, dass ich es kaum erwarten kann, diese selbst anzuwenden. Doch dann höre ich ihre Musik und denke mir, dass sie alles vermeiden, was mit Begriffen wie ‹Seele›, ‹Inspiration› oder ‹Gefühle› zu tun hat. Deshalb entsteht oft keine Kommunikation. Und darum sollte es in der Musik doch eigentlich gehen.»

Suche nach Authentizität

Dazu passt das Credo von Sebastian Androne-Nakanishi, wonach er nicht auf einer Reise der Originalität, sondern auf einer der Authentizität sei. «Es ist keine Suche nach klanglicher Neuartigkeit, sondern eine nach der aufrichtigsten, eloquentesten und aussagekräftigsten musikalischen Manifestation.» Strawinsky habe einmal bezüglich musikalischer Poesie gesagt, dass komplette Originalität ein Monster sei. Für Sebastian Androne-Nakanishi hat Originalität etwas Unredliches an sich, da sie immer nur ein Mittel zum Zweck sei, ein Werkzeug, um Erfolg zu haben. «Authentizität hingegen beinhaltet Ehrlichkeit, Ehrlichkeit im Sinne einer Reise der Selbstentdeckung, die Fragen aufwirft. Wer bin ich? Wer bin ich in der Beziehung zu anderen Menschen. Warum komponiere ich Musik, während andere Leute Leben retten?»

Es sind solche Fragen, die Sebastian Androne-Nakanishi erklärtermassen die ganze Zeit durch den Kopf gehen, seit er im ersten Jahr seines Studiums in Rumänien war. «Einer meiner Lehrer, Dan Voiculescu, sagte,wir Komponisten seien wie Chirurgen an den Herzen der Menschen, an den Seelen der Menschen. Das war mir zwar ein bisschen zu poetisch. Aber es gibt es immer wieder Leute, die nach einer Aufführung eines meiner Werke zu mir kommen und gestehen, die Musik habe sie bewegt, manche mit Tränen in den Augen. Diese Art von Reaktion ist für mich einer der Hauptgründe, weshalb ich weiterhin Musik schreibe, und vielleicht ist es genau das, was Authentizität ausmacht.» Er verhehlt aber nicht, dass das Komponieren für ihn auch eine hedonistische Seite habe. «Natürlich liebe ich den Nervenkitzel des Entdeckens, für mich ist Komponieren wie das Schreiben einer Geschichte Komponieren ist für mich wie das Schreiben einer Geschichte, die sich für mich entfaltet.»

Lohn für Komposition

Komponieren ist für Sebastian Androne-Nakanishi auch ein Kampf, «einen Sinn in etwas zu finden, das sich finanziell nicht lohnt. Der Bohème-Ansatz hat nur funktioniert, bis ich geheiratet habe, Vater eines Kinds wurde – und in das teuerste Land der Welt zog.» Umso wichtiger war ihm, eine solide Lösung für die Urheberrechte zu finden. «Als Komponist sind die Einkünfte aus Tantiemen, die man durch die Aufführung seiner Musik erhält, unverzichtbar. Nach mehreren Projekten in der Schweiz und Gesprächen mit Kollegen, die Mitglied bei der SUISA sind, wurde mir klar, dass auch ich der SUISA beitreten will.»

Angesichts der hohen Lebenskosten in der Schweiz sei aber auch der Druck gross, Auftragskompositionen anzunehmen, erklärt der Rumäne in seinem kleinen Studio, in das manchmal die durchdringenden Geräusche der darunterliegenden Zahnklinik dringen. «Manchmal arbeite ich wie jetzt an fünf oder sechs Projekten gleichzeitig – das ist der Wahnsinn.» Zudem bestehe dann die Gefahr, dass die Authentizität darunter leide, was er hasse. «Umso wichtiger ist es mir, eine Verbindung zu der Person aufzubauen, mit der ich zusammenarbeite. Wenn es sich um einen Film-Soundtrack oder Musik für ein Theaterstück handelt, ergibt sich daraus eine Art von Pingpong mit dem Regisseur. Wenn es ein reines Konzertstück ist, dann ist es ein bisschen schwieriger, weil ich mit mir selbst Pingpong spielen muss.»

Ein Albtraum für Sebastian Androne-Nakanishi ist erklärtermassen, mit seiner Musik zu langweilen oder mit kompositorischen Effekten etwas zu kompensieren, das nicht da ist. «Nach so viel Ausbildung beherrsche ich so viele Kompositionstechniken, dass es für mich einfach ist, etwas komplex klingen zu lassen.» Tatsächlich hat er nicht nur in Rumänien, Grossbritannien und Frankreich Komposition studiert, sondern schliesst zurzeit an der Zürcher Hochschule der Künste einen zweiten Master («Komposition für Film, Theater und Medien») ab und hat unzählige Masterclasses bekannter Komponisten besucht. «Die grösste Freude aber habe ich, Komplexität mit Einfachheit zu kombinieren, ohne einer Simplifizierung zu verfallen. Wenn man also die Kraft der Einfachheit mit dem kombiniert, was wir in einem Jahrhundert zeitgenössischer Musik angesammelt haben.»

Vielfalt der zeitgenössischen Musik

Grundlegend bleibt für Sebastian Androne-Nakanishi, mit seiner Musik eine Reaktion der Zuhörerinnen und Zuhörer zu erreichen, dass sie nicht gleichgültig bleiben. «Es ist unter bestimmten Umständen auch in Ordnung, wenn sie ein bisschen wütend werden. Aber wütend, weil sie etwas fühlen, etwas, das sie im Innersten ihres Wesens berührt.» Der Rumäne ist bestimmt kein radikaler Neutöner, aber er hat in seinem Orchesterstück «Tektonum» den Sound einer Kettensäge eingesetzt. «Ich habe das nicht gemacht, um die Leute zu verblüffen oder zu provozieren. Nein, in dem betreffenden Moment ging es mir um die musikalische Darstellung des Weltuntergangs, das ganze Stück ist von den Vorstellungen zur Entstehung und der Entwicklung der Welt inspiriert. Und schliesslich musste ich die menschliche Natur darstellen. Da fand ich in meiner Instrumentenbibliothek zufälligerweise diesen Sound einer Kettensäge. Da dachte ich mir: ja, das ist ein gutes Symbol für das, was wir tun.»

Sebastian Androne-Nakanishi scheint die vielen Ausdrucksmöglichkeiten zeitgenössischer Musik geradezu aufgesogen zu haben. Bei all der Vielfalt fragt sich, was typisch an seinen Kompositionen ist, ob es charakteristische Merkmale, etwas Unverwechselbares gibt. Der Komponist zögert kurz und meint dann: «Sie fragen nach meinem Stil. Dies war für mich schon in Rumänien ein beängstigendes Wort, denn ich spürte daraus einen akademischen Druck, ‹meine eigene Stimme› zu finden. Ich hasste den Ausdruck schon damals, weil er mir auferlegte, in eine Schublade gesteckt werden zu können, meiner Musik ein Etikett umzuhängen, etwa sie sei ‹post-strukturalistisch›, ‹von Boulez beeinflusst› oder was auch immer. Ich bekam das Gefühl, dass ich etwas auswählen und mich damit einschränken sollte. Das aber ist nicht mein Ding. Ich möchte alles machen können, frei sein. Wenn die Verwendung mehrerer Stile automatisch dazu führt, dass man als ‹eklektisch› oder ‹unbeständig› wahrgenommen wird, dann wird nur die Zeit zeigen, ob der abwertende Charakter dieser Bezeichnungen berechtigt war.»

Die Musik von Sebastian Androne-Nakanishi sei wie eine Achterbahn, soll ihm sein Dozent Joe Cutler einmal gesagt haben. «Das hat bis vor etwa zwei Jahren gestimmt. Bei meinem Masterprojekt in Zürich brachten mich aber einige Dozenten dazu, vieles zu hinterfragen, was ich machte. Eine sagte mir: ‹Sebastian, einige deiner Musikstücke sind beeindruckend. Aber sie bewegen mich nicht.› Das war schockierend und hat mich dazu gebracht, vieles zu hinterfragen.» Er habe realisiert, dass er manchmal einfach seine Dozenten habe zufriedenstellen wollen. «Stephan Teuwissen, der mich in Zürich in Musikdramaturgie unterrichtete, hat mir gesagt: ‹Hör auf, Papas zu suchen. Ich will keine Jünger, ich will einen Widerpart.› Ich muss also auf meine Art meine eigene Musik suchen und die Freiheit finden, mich immer wieder neu zu erfinden. Wenn das bedeutet, sich von einem Stil zum anderen zu entwickeln, dann soll es so sein. Aber wenn mich jemand fragt, was mein Stil ist, dann ist meine Antwort, dass es für jedes Stück das ist, was dieses erfordert.»

www.sebastianandrone.com, offizielle Website von Sebastian Androne-Nakanishi

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