Um die Verbreitung des Virus zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen, haben die Behörden zu drastischen Massnahmen gegriffen. Im Grundsatz sind alle Angebote ausserhalb des täglichen Grundbedarfs nur noch erschwert zugänglich oder dürfen gar nicht mehr durchgeführt werden.
Doch was ist der tägliche Grundbedarf? Wer definiert diesen?
Zum Grundbedarf der Menschen gehören doch auch Dinge, über die man sich geistig erfreuen kann! Der Besuch eines Konzerts, der Gang ins Kino, oder die Besichtigung einer Ausstellung: Warum sind Museen geschlossen worden, wo Ausstellungen doch selten – ausser bei Blockbuster-Sonderschauen – mit einem Besucherandrang zu kämpfen haben? Weshalb müssen Kleinkunstbühnen geschlossen bleiben? Sie könnten Schweizer Künstlerinnen und Künstlern Auftritte bieten und jeweils ein kleines, aber sicher dankbares Publikum erfreuen.
Ein im Internet gestreamtes Konzert ist kein Ersatz für Live-Veranstaltungen. Es fehlt die Interaktion, das gemeinsame Erleben einer künstlerischen Darbietung, welche beide Seiten, Aufführende und Publikum, gegenseitig befruchten, und ein Konzert erst zu einem denkwürdigen Anlass machen.
Mittlerweile ist es so weit, dass man Geisterkonzerte veranstaltet wie das «Ghost Festival»: Ein Festival mit rund 300 Bands – beteiligt sind knapp 1300 Musikschaffende inklusive Techniker/-innen, Booker-/innen, Manager/-innen und Weiteren –, das gar nicht stattfindet, weil schlicht niemand hingehen kann. Die SUISA unterstützt dieses Nicht-Festival durch ein Sponsoring, aber auch durch Ticketkäufe ihrer Belegschaft.
Kultur- und Kreativwirtschaft ist relevant
Viele Veranstalterinnen und Veranstalter hatten in den Sommermonaten 2020 zuverlässige Schutzkonzepte erarbeitet und mit nicht geringen Zusatzkosten auch umgesetzt. Nun stehen sie trotzdem faktisch vor einem Berufsverbot. Seit gesamthaft schon über 6 Monaten ist nichts mehr erlaubt. Durch die Corona-Verbote entstehen grosse finanzielle Einbussen. Bund und Kantone haben zwar Hilfsprogramme beschlossen, aber diese sind schlecht an die Situation der vielen freischaffenden Künstlerinnen und Künstler sowie der Veranstalterinnen und Veranstalter als Einzelunternehmen angepasst.
Wo liegt der Grund für die Geringachtung des Kulturbetriebs?
Es mangelt offenbar am kulturellen Bewusstsein bei den Entscheidungsträgerinnen und -trägern in der Politik und der Verwaltung. Obwohl gemäss einer neuen Studie von Ernst & Young (EY) der Kulturbereich gemessen an der Anzahl Beschäftigten in Europa an vierter Stelle steht: www.rebuilding-europe.eu
Ein Aufruf geht deshalb an die politisch und behördlich lenkenden Personen und Institutionen: Kultur ist lebensnotwendig! Sie ist ein Grundnahrungsmittel für den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Lasst sie auch in Zeiten des Lockdowns gedeihen! Sie erfreut die Menschen, gibt ihnen Perspektive über die Pandemie hinaus und gibt vor allem den Künstlerinnen und Künstlern ein Auskommen.
Schafft differenzierte Regeln: Kleinveranstaltungen und Veranstaltungen mit reduzierter Besucherzahl müssen möglich sein, ebenso offene Museen, Kulturstätten, wo sich interessierte Menschen und Künstlerinnen und Künstler – natürlich unter Einhaltung der gesundheitlichen Vorschriften – treffen und gemeinsam etwas erleben können. Solche Orte sind für die Gesellschaft und den Alltag genauso wichtig wie die Läden, in denen Einkäufe für den täglich Bedarf getätigt werden. Mit wissenschaftlichen Studien ist nachgewiesen, dass bei Kulturveranstaltungen mit guten Schutzkonzepten keine erhöhte Gefahr in Bezug auf die weitere Ausbreitung des Corona-Virus besteht: nachzulesen in der Aerosolstudie des Fraunhofer-Instituts am Konzerthaus Dortmund sowie im Abschlussbericht des probeweisen Testbetriebes der Bayerischen Staatsoper (PDF) mit erhöhter Zuschauerzahl.
Kulturelles Bewusstsein stärker verankern
Die Corona-Krise in der Kultur zeigt noch etwas Weiteres: Erst beim Verbot und dadurch dem Wegfall von kulturellen Veranstaltungen wird vielen bewusst, wie wichtig Kultur und Unterhaltung für uns Menschen ist und wie aufbauend der kulturelle Austausch zwischen Kunstschaffenden und Publikum für beide Seiten ist.
Dieses kulturelle Bewusstsein sollte in der Schweizer Bevölkerung viel stärker verankert werden. Beginnend schon bei der Ausbildung: Durch Bildung und dem Ermöglichen des Zugangs zu kulturellen Errungenschaften werden junge Menschen an die Künste herangeführt. Mit der Initiative Jugend & Musik wurde zwar einiges erreicht, aber es bleibt noch viel zu tun, insbesondere auch in anderen Kunstsparten als der Musik.
Das gesellschaftliche Interesse an Musik, bildender Kunst, Film, Literatur, Tanz und Performancekunst erweitert sich durch Anregung zu eigenem Schaffen und durch Förderung der Vermittlung der aktuellen künstlerischen Produktion und des künstlerischen Erbes. Je mehr Menschen mit künstlerischen Ausdrucksformen in Berührung kommen, desto mehr steigt auch das Bedürfnis nach Kunst und Kultur. Wodurch die Gesellschaft schliesslich nachhaltiger einfordert, dass dieser Bedarf erfüllt wird und die nötigen Voraussetzungen dazu aufgebracht werden.
Gemeinsame starke Stimme für die Kultur nötig
Für die Erhöhung und vertiefte Verankerung des Bedarfs nach Kunst und Kultur müssen sich die kulturellen Institutionen dieses Landes zusammenschliessen und die Verbreitung des kulturellen Schaffens gemeinsam viel nachdrücklicher fordern und fördern.
Mit der «Taskforce Culture» hat sich während der Pandemie erstmals eine starke gemeinsame Stimme gebildet. Als Gesprächspartnerin der Politik und der Verwaltung ist es dieser Task-Force in den letzten Monaten schon sehr gut gelungen, die Kräfte aus den verschiedensten Kultursparten, von den Künstlerverbänden bis zu den Veranstaltern und Kulturvermittlern, zu bündeln und für kulturspezifische Anliegen einzutreten. Denn es ist noch längst nicht in allen Köpfen angekommen, dass künstlerisches Schaffen andere Voraussetzungen hat als die Arbeit in vielen Produktions- und Dienstleistungsbereichen.
Ein Zusammenschluss der kulturellen Institutionen und Verbände kann ähnlich den grossen Wirtschaftsverbänden und Arbeitnehmerorganisationen eine gewichtige Rolle als Ansprechpartner für gesellschaftliche und politische Entwicklungen in der Schweiz übernehmen. Eine solche gemeinsame starke Stimme für die Kultur wird in den kommenden Monaten und Jahren noch zusätzliche Relevanz bekommen. Die öffentliche Hand wird ganz einschneidend sparen müssen, weil durch die Bekämpfung der Pandemie mit Verboten immense volkswirtschaftliche Schäden entstanden sind und weiter entstehen. Die künftigen Steuereinnahmen werden zurückgehen, während die Staatsverschuldung wegen der Hilfsmassnahmen zunimmt.
Wie rasch in finanziell schwierigen Situationen der Sparhebel zuerst bei Kultur und Bildung angesetzt wird, kennt man aus der Vergangenheit. Im Verbund können die Kulturverbände und -institutionen gemeinsam ihre Stimme erheben und mittel- bis langfristig dafür sorgen, dass die gesellschaftliche und politische Bedeutung von Kunst und Kultur gestärkt und geachtet wird. Denn künstlerische Ausdrucksformen und der Zugang zu ihnen müssen selbstverständlich als Grundbedarf der Menschen anerkannt sein. Man kann und darf sie nicht wegsperren.
Unverhältnismässige und existenzbedrohende Beschlüsse „ unserer „
Politiker schüren das Unverständnis in der Bevölkerung. Aber da sie nie für ihre Fehler
zur Rechenschaft gezogen werden ist es ihnen scheinbar Egal ☹️
Danke für Ihren Kommentar. Dass es Massnahmen gegen die Covid-19-Pandemie braucht, stellen wir nicht in Frage. Es braucht allerdings differenziertere Massnahmen, die gewisse Wirtschaftszweige gegenüber anderen nicht benachteiligen.
Andreas Wegelin, SUISA CEO
Une contribution de haute facture . La culture inspire de belles ouvertures au monde .
Alassane ndiaye membre Suisa Sénégal