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Very Rickenbacher

«Ich habe sicher noch nie wegen des Profits komponiert»

«Ich habe sicher noch nie wegen des Profits komponiert»
Am 12. Oktober 2024 wird dem Blasmusiker, Dirigenten, Komponisten und Arrangeur Very Rickenbacher der «Goldene Violinschlüssel 2024» verliehen.
Fotos und Videos: Manu Leuenberger
Text von Gastautor Markus Ganz
Der «Goldene Violinschlüssel» geht dieses Jahr an Very Rickenbacher. Begründet wird dies damit, dass der Innerschweizer Musiker die Blaskapellenszene der letzten Jahrzehnte stark geprägt habe, sei es als Euphoniumspieler, als Dirigent der Blaskapelle Rigispatzen oder als herausragender Komponist.

«Ideen für neue Kompositionen kommen mir fast immer in der Nacht, zu 95 bis 98 Prozent», erklärt Very Rickenbacher lachend. «Ich erwache und habe irgendetwas im Kopf, meist eine Melodie mit der Tonart, aber welches Instrument, kann ich nicht sagen. Dann gehe ich schnell ins Badezimmer und schreibe das in den bereitliegenden Block mit Blanko-Notenlinien.» Danach gehe er zurück ins Zimmer, wo er gleich wieder einschlafen könne. Am Morgen sehe er dann, was er aufgeschrieben habe. «Und wenn es gut ist, bleibt es mir auch im Kopf.»

Wenn der Kopf fast platzt

Wenn er laufe oder irgendwo sitze, geschehe es dann oft unvermittelt, dass die Melodie wieder komme. «Ich kann dann auch die Instrumente hören, etwa Flügelhorn und Tenorhorn, dann kommt oft das Holz, etwa die Klarinette. Und schliesslich habe ich einen solchen Kopf, dass ich Ruhe benötige, weil es fast weh tut.» Dann müsse er sich baldmöglichst an den Computer setzen, wo er sämtliche Noten des Arrangements in das Programm eingeben könne. So erging es Very Rickenbacher auch kürzlich beim Kompositionsprozess, als er für die bekannte Luzerner Blaskapelle Lublaska ein Stück zu ihrem 25-Jahre-Jubiläum schrieb. «Als ich die Noten bereit hatte, habe ich bei der Gruppe angefragt, ob ich zu einer Probe vorbeikommen dürfe. Und dort hat es genauso getönt, wie ich das im Kopf hatte, wirklich.»

So erstaunlich dies ist, so gibt es doch eine Erklärung. «Ich komponiere fast immer nur, wenn ich weiss, wer das entstehende Stück spielen wird, wie dies bei Lublaska der Fall war.» Noch ausgeprägter ist dies bei seinen meist böhmisch geprägten Polkas für die Blaskapelle Rigispatzen, der er bereits 1975 als Musiker beigetreten war und wo er von 2003 bis 2017 auch die musikalische Leitung innehatte. «Ich weiss in diesem Fall sehr genau, wie die einzelnen Mitglieder ihre Parts spielen werden, weil ich ihre Fähigkeiten kenne und entsprechend anpasse.» Bei der Notation am Computer stelle er aber auch fest, dass er bei der Feinarbeit im Gegensatz zu früheren, «computerlosen» Jahren deutlich mehr Zeit benötige. Die Versuchung sei gross, dass er sich etwa sage, hier könnte die zweite Klarinette noch dies spielen und da die Trompete das.

Ein fulminanter Karrierestart

Very Rickenbacher sitzt zufrieden in seinem Garten in Immensee SZ, wo er 1957 als jüngstes von neun Kindern zur Welt kam. In der Familie spielte die Musik eine grosse Rolle, der Vater spielte Schwyzerörgeli, die Mutter jodelte. Im Alter von etwa sechs Jahren erhielt Very ein Spielzeugsaxofon und durfte mit dem Vater an einen Auftritt in einem Restaurant. «Der Saal war gestossen voll, und da habe ich ‹tüderled – tü-tü-tü-tüü›, und die Leute sind natürlich ausgeflippt. Für eine Zugabe haben mich zwei Männer noch auf einen Tisch gehievt.»

Very Rickenbacher beim Interview im August 2024 in seinem Garten in Immensee SZ.

«Ja», erklärt Very Rickenbacher strahlend, «das Musizieren hat schon damals gute Gefühle in mir ausgelöst und mir gezeigt, was man mit Musik bewirken kann». Er habe danach oft mit dem Vater zusammengespielt. Aber es war der ältere Bruder Balz, der zu seinem musikalischen Förderer wurde. «Er brachte mich in einen Jungbläserkurs, wo ich das Tenorhorn spielen lernte, weil gerade kein anderes Instrument verfügbar war, mit 14 folgte das Euphonium. Er hat mir später auch die Möglichkeit gegeben, zu dirigieren, einzustudieren, auszuprobieren, aus dem Stegreif miteinander zu spielen. Und immer war damit diese Freude an der Musik verbunden.»

Autodidaktisches Lernen und Inspiration

Es war wiederum eher ein Zufall, dass Very Rickenbacher begann, selbst Musik zu komponieren. «Als ich 16 Jahre alt war, kam die Witwe meines Göttis zu Besuch und übergab mir sein Schwyzerörgeli, weil sie meinte, dass ich wie mein Vater dieses Instrument spiele. Um sie nicht zu enttäuschen, sagte ich, dass ich es probieren werde.» Er schrieb auf, welche Knöpfe des Schwyzerörgelis welche Töne erzeugten, die er von der Blasmusik her kannte. «Und dann habe ich herumprobiert, woraus letztlich über dreissig Tänze entstanden sind.» Zum Verständnis des Komponierens beigetragen hat auch, dass er im Lehrerseminar Klavierunterricht nehmen musste. «Dafür bin ich aber längst dankbar, zumal es mir auch geholfen hat, mit zwei Händen verschiedene Dinge zu tun. Aber eigentlich habe ich alles, neben dem Komponieren auch das Dirigieren und das Spielen des Schwyzerörgelis, autodidaktisch gelernt. Dazu gehört, dass man ständig ausprobiert und dazulernt.»

Very Rickenbacher hat viele Stücke für die Blaskapelle Rigispatzen geschrieben und lebt in Immensee an der Rigi, da liegt es nahe, dass ihn dieser Berg beim Komponieren inspiriert. Der Musiker winkt ab. Der Name der Blaskapelle habe sich aus dem ursprünglichen Namen der 1956 gegründeten Bauernkapelle Rigispatzen ergeben. «Für mich persönlich hat die Rigi keinen Bezug in dem Sinne, dass sie mich inspiriert, zumal ich starke Höhenangst habe, auch wenn dies auf der Rigi oben gerade noch so geht», entgegnet er lachend. Aber diese Kombination von See und Berg, das sei schon eine «cheibe schöne Heimat». Und bei Titeln wie «Kirschblütenzauber»? «Da habe ich tatsächlich einen wunderbaren Baum in Blüte gesehen, als mir diese Melodien durch den Kopf gegangen sind. Ein Gärtner hat mir dann gesagt, das sei gar kein Kirschbaum. Aber der richtige Name war kompliziert und hätte sich nicht als Titel geeignet» (lacht herzlich).

Ein Klassiker der Blasmusik

Neben einigen Walzern hat Very Rickenbacher vor allem böhmisch geprägte Polkas geschrieben. Dies gilt auch für die Komposition «Ein halbes Jahrhundert», die er zum 50-Jahr-Jubiläum der Rigispatzen im Jahr 2006 schrieb. Dieses Stück erfreut sich anhaltender Beliebtheit beim Publikum und hat sich zu einem Klassiker für Blasmusikkapellen entwickelt, die es vor allem an Konzerten in Deutschland, Österreich und den Niederlanden regelmässig spielen. «Schon bei der ersten Probe des Stücks habe ich gemerkt, dass die Leute speziell reagieren: Sie haben draussen vor dem Saal gepfiffen, das war wirklich krass.» Mittlerweile gebe es sogar ein Arrangement für Akkordeon-Orchester.

Aber was macht das Spezielle dieser Komposition aus? «Ich habe so etwas wie eine Rumba in die Begleitung gebracht, was es in der böhmischen Blasmusik vorher nicht gab. Und ich habe in der Trio-Melodie eine Moll-Harmonie, was es zuvor ebenfalls so nicht gab, aber mittlerweile oft versucht wird – und nicht immer schön klingt.» Er denke, dass ihm diese Komposition eher zufällig geglückt sei. Denn: «Ich habe sicher noch nie wegen des Profits komponiert. Ich habe Freude, wenn meine Musik gespielt wird. Und natürlich habe ich es gerne, wenn ich dann von der SUISA auch ein bisschen Geld dafür bekomme.»

Dankbar – und demütig

Very Rickenbacher hat 1984 erstmals Kompositionen bei der SUISA angemeldet und erzählt nun, wie gerührt er war, als er kürzlich die erste Abrechnung aus dem Jahr 1985 gefunden hat. «Ich bin dankbar, dass es die SUISA gibt.» Und dies nicht nur wegen den Abrechnungen, die wegen den digitalen Medien ja viel komplizierter geworden seien. «Ich habe den Eindruck, dass die Angestellten der SUISA unglaublich gut zu uns Komponisten schauen; sie haben mich auch schon beraten. Wichtig ist auch, dass meine Werke geschützt werden und ich unter bestimmten Bedingungen sogar eine Rente erhalte.»

«Dankbar, aber auch demütig» macht Very Rickenbacher die aktuelle Auszeichnung mit dem «Goldenen Violinschlüssel 2024» durch den gleichnamigen Verein. «Es ist für mich unbeschreiblich, da dies für mich völlig unerwartet kommt.» Der Preis sei für ihn immer eine Auszeichnung im Bereich der Ländlermusik gewesen. Im Bereich der Blasmusik sei der «Goldene Violinschlüssel» zum letzten Mal 2009 an Emil Wallimann verliehen worden, aber der habe Jodelgesang in seine Musik integriert. «Es erfüllt mich doch ein bisschen mit Stolz, dass ich erst der fünfte von 46 Preisträgern bin, der etwas mit Blasmusik zu tun hat; und mit böhmischer Blasmusik bin ich ohnehin der erste.»

Die SUISA unterstützt den Verein «Goldener Violinschlüssel». Dieser verleiht seit 1979 diese Auszeichnung im Bereich der Schweizer Volksmusik.

www.goldenerviolinschluessel.ch Offizielle Website des Vereins Goldener Violinschlüssel
www.verol-noten.ch Offizielle Website des Notenverlags von Very und Roland Rickenbacher

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