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#SUISA100

«Pilzmusik und Gletscherknirschen: Klingt fantastisch? Ist es auch»

«Pilzmusik und Gletscherknirschen: Klingt fantastisch? Ist es auch»
Ludwig Berger (stehend, links) präsentiert seine Projektidee «klang-DNA – morteratschgletscher»: Tonaufnahmen aus dem Inneren des Morteratschgletschers sollen in Form von DNA in einem örtlichen Felsen konserviert werden.
Fotos: Manu Leuenberger
Text von Erika Weibel
Am 16. April 2024 ist im Yehudi Menuhin Forum Bern das Projekt «Zukunftsmusik – Utopie sonore – Échos du futur» vorgestellt worden. Das Publikum der Gegenwart erhielt einen Eindruck, wie heute lebende Komponistinnen und Komponisten ihre musikalischen Grussbotschaften für ein zukünftiges Publikum im Jahr 2123 gestalteten. Auch kurze Ouvertüren aus ausgewählten Werken waren zu hören.

Wie soll eine Musik klingen, die für ein Publikum bestimmt ist, das noch nicht geboren wurde? Diese Frage bildete den Ausgangspunkt für das Projekt «Zukunftsmusik», das anlässlich des 100-jährigen Bestehens der SUISA entwickelt wurde. Über 40 Musikerinnen und Musiker aus der ganzen Schweiz haben im Rahmen dieses Projekts Kompositionsideen entwickelt für Werke, die erst in 100 Jahren uraufgeführt werden sollen. Die künstlerische Leitung dieses Vorhabens lag in den Händen des Musikethnologen und Kurator Johannes Rühl.

Die Komponistinnen und Komponisten skizzierten ihre Grundideen für diese zukunftsweisenden Werke auf zwei A4-Seiten. Diese Skizzen wurden in einer Archivbox veröffentlicht. Eine Fachjury, bestehend aus Jennifer Jans, Peter Kraut und Johannes Rühl, wählte auf Basis der eingegangenen Vorschläge Komponistinnen und Komponisten von fünf Projekten aus, denen der Auftrag erteilt wurde, die geplanten Werke fertig zu komponieren. Diese Werke sollen zum 200. Geburtstag der SUISA, im Jahr 2123, in vollständiger Länge uraufgeführt werden.

Das Projekt «Zukunftsmusik» wurde anlässlich des 100-jährigen Bestehens der SUISA entwickelt. Der Präsentationsabend war ein würdiger Abschluss des Jubiläumsjahrs. Im Bild: SUISA-Präsident Xavier Dayer im Gespräch mit Desirée Meiser.

Die fünf auserwählten Werke wurden zusammen mit einigen weiteren eingereichten, spannenden Werkskizzen vorgestellt und ein musikalischer Vorgeschmack davon in Form von akustischen Amuse-Bouches dargeboten. Der Abend war ein würdiger Abschluss des Jubiläumsjahrs der SUISA, mit einem Blick in die musikalische Zukunft der nächsten Jahre.

Fünf Werke, die auskomponiert werden

Hyper Duo (Gilles Grimaître, Julien Mégroz): «3 406 699 560»
Hyper Duos Vorschlag beinhaltet eine faszinierende Reise, bei der sich Gegenwart und Zukunft miteinander verweben, Hintergrundgeräusche zu Musik werden und die Interpreten/innen zu Autoren/innen. Der Titel der Komposition entspricht der Anzahl der Sekunden vom Abgabetermin bis zur Aufführung und ändert sich somit bei jeder Darbietung. Diese Flexibilität ist ein wesentlicher Bestandteil von Hyper Duos Werk.
Grimaître und Mégroz stellen den zukünftigen Interpreten ihres Werks «3 406 699 560» ein gedrucktes Papier zur Verfügung, das einen Fragebogen und eine konzeptualisierte Partitur enthält. Um das Werk interpretieren zu können, müssen die Musiker Fragen beantworten wie: «Wie wird 2123 der Ort klingen, an dem sich im Jahr 2023 das Probenatelier von Hyper Duo befindet?» Die Musiker der Zukunft sollen diesen Ort aufsuchen und die Geräusche mit einem beliebigen Tonaufnahmeverfahren festhalten. Das neue Audiomaterial wird dann in hundert Jahren mit dem schriftlichen Teil der Komposition in einen Dialog treten.

Das Hyper Duo erläutert die Komposition «3 406 699 560», rechts die Moderatorin des Präsentationsabends Desirée Meiser.

Joy Frempong & Marcel Blab (OY): «Welcome To Our Future by OY»
Oys Klangkörper-Wahl für das Werk in der Zukunft fiel auf den eines hundertköpfigen Chors, erweitert durch telepathische Elemente (gemäss Oy gilt es als wissenschaftlich erwiesen, dass telepathisches Musizieren in 100 Jahren möglich sein wird), die kollektive Improvisation von Pilzen sowie singende Hunde welche ihre Komposition in hundert Jahren vortragen sollen.
Bei ihrem Werk handelt es sich um Musik die «Frieden stiftet, Ruhe findet und gibt, verbunden durch den endlosen Lauf der Dinge, den Kreisläufe der Natur und des Lebens, wie das Qi und die Higgs Teilchen die alles sind und durchdringen von dem Atom bis zum hintersten Winkel des Universums. Eine Ode an das größere Unbekannte und doch Gefühlte und Verbindende was uns umgibt. Mit Liebe Humor und Tiefe. Eine Musik, die nicht ausschliesst und nicht klüger sein will als wir es sind.»

Martina Berther: «Klangschatz – dem Zeitgeist entkommen»
Martina Berther möchte die Klänge der Schweiz für die Nachwelt bewahren. Über mehrere Monate hinweg führte sie ein Klangtagebuch, in dem sie alltägliche Geräusche sowie gezielt aufgesuchte Orte aufzeichnete, die sie als prägend für unsere Zeit und Klanglandschaft betrachtet. Berther geht davon aus, dass einige dieser Klänge in 100 Jahren verschwunden sein werden. Dieses Klangtagebuch dient als akustisches Dokument unserer Zeit, das den Reichtum unserer heutigen Klangwelt festhält, bevor sie sich weiter verändert.
In hundert Jahren kann das Tagebuch weiterentwickelt werden, indem Aufnahmen der kommenden Klanglandschaft hinzugefügt werden. Musikerinnen und Musiker der Zukunft können so die Veränderungen der Klänge und Orte hörbar machen und das Werk mit neuen Klängen ergänzen, sei es durch neue Musik oder durch ein Klangtagebuch aus dem Jahr 2123.

Patrick Frank: «Zukunft erinnern»
Frank hat für sein Projekt den Rahmen des «Kampfs für ein würdevolles Leben alles Lebendigen» gesteckt. Die Ouvertüre fand am 16. April 2024 im Yehudi Menuhin Forum in Bern statt. Alle zehn Jahre soll im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung der SUISA das Werk «Zukunft erinnern» musikalisch erweitert vorgetragen werden.
Bei jeder Aufführung wird das Werk durch eine «Erinnerung» ergänzt – eine Teilkomposition, die von maximal zwei Komponisten/innen geschaffen wird und höchstens zwei Minuten dauert. Nach 89 Jahren addieren sich diese Werkstücke zu einem Gesamtwerk von 100 Minuten, das bei der letzten Aufführung präsentiert wird. Die Kompositionen werden jedes Mal digital archiviert, um sie bei jeder neuen Aufführung wieder hervorholen und ergänzen zu können.

Simone Felber & Adrian Würsch: «Grüess as grosse nüt»
Volkslieder, Jodel und Volksmusik wurden über Jahrhunderte mündlich überliefert. Simone Felber und Adrian Würsch gehen bei ihrem Projekt der Frage nach, wie diese orale Tradition wiederbelebt werden kann. Im Zentrum des Projekts steht eine musikalische Begegnung, bei der Musik und Text mündlich vermittelt werden. Durch die Weitergabe einer Liedskizze sind Adaptionen, Veränderungen und Entwicklungen des Materials nicht nur unvermeidlich, sondern ausdrücklich erwünscht.
Das Projekt sieht vor, im Jahr 2123 eine Liedskizze zwei Individuen zugänglich zu machen. Diese sollen das Lied erlernen und aus dem Gedächtnis wiedergeben. Noten werden hinterlegt, dürfen aber nicht weitergegeben werden; Tonaufnahmen hingegen sind erlaubt. Das Lied muss von Person zu Person mündlich weitergegeben werden. Sobald vier Paare das Lied auswendig kennen, sollen sie unabhängig voneinander ein Arrangement schreiben. Die ausschließlich textlich vorliegende zweite Liedstrophe soll aktualisiert und ein dritter Teil ergänzt werden, wobei die Instrumentierung frei ist. Die vier Versionen sollen schließlich in einem Konzert aufgeführt werden.

Alle Mitwirkenden bei der Präsentation des Projekts «Zukunftsmusik» versammelt auf der Bühne des Yehudi Menuhin Forums Bern.

Medienstimmen zum Projekt «Zukunftsmusik»

«Ein aussergewöhnliches Musikprojekt kreiert eine Zeitkapsel, die erst in 100 Jahren geöffnet werden darf. Darin: 40 Kompositionen von Schweizer Musikschaffenden. Mit singenden Hunden, Morsezeichen oder Gletschermusik. Doch wie schreibt man Musik für die Zukunft? Für wen? Und in welchem Format?» – SRF Kulturplatz, 10. April 2024

«Die Idee ist ganz einfach, ihre Wirkung dagegen kaum zu erfassen. Musikerinnen und Musiker aus der ganzen Schweiz wurden beauftragt, eine Musik zu komponieren, die in 100 Jahren das erste Mal gespielt wird. Die 40 eingeladenen Schweizer Musikerinnen und Musiker kamen aus Pop, Jazz, Klassik, Volksmusik und experimentellen Formen des Musikmachens. ‹What a crazy idea›, war die spontane Reaktion aus der Musikszene. Vielen dämmerte bald, auf was für eine schwierige Mission sie sich da eingelassen haben.
[…] Wenn alles nach Plan läuft, wird im Jahr 2124 in der Schweizerischen Nationalphonothek in Lugano und in der kleinen Nepomuk-Kirche unterhalb von Loco in Niva im Onsernonetal je ein identischer versiegelter Behälter mit einem mysteriösen Inhalt geöffnet. Neugierige Menschen werden in den Händen halten, was 100 Jahre auf sie gewartet hat. Sie folgen den Handlungsanweisungen und bringen das zum Klingen, was in einer fernen Vergangenheit für sie ausgedacht worden ist.
Was sie dabei empfinden, das werden wir freilich nie erfahren.» – Tessiner Zeitung, 16. April 2024

«Schauen wir in der Musikgeschichte ein Jahrhundert zurück, stossen wir etwa auf die ‹Rhapsody in Blue› von George Gershwin, uraufgeführt 1924. Oder auf das erste Solo des jungen Louis Armstrong im ‹Chimes Blues›, 1923.
So weit entfernt von unserem heutigen Geschmack ist das doch eigentlich gar nicht. Diese Stücke gingen mit den Menschen durch die Jahrzehnte, sie nisteten sich im kollektiven Gedächtnis ein. Anders sei das, wie Rühl sagt, in der Avantgarde. Jener Musikströmung, die zu jedem Zeitpunkt in der Musikgeschichte versucht, ihrer Zeit voraus zu sein.» – Berner Zeitung, 15. April 2024

«È chiaro che non possiamo sapere con certezza cosa succederà all’apertura della scatola contenente la musica di questo progetto, ma di una cosa sono sicuro: che la musica ci sarà ancora; ci saranno le melodie, le armonie, i ritmi. Ci sarà la voce. Certo, l’ascolto sarà probabilmente differente, le abitudini certamente lo saranno, ma la musica come esperienza sarà patrimonio anche dei nostri pronipoti». – Corriere del Ticino, 16. April 2024

«Pilzmusik und Gletscherknirschen: Das Projekt ‹Zukunftsmusik› der Suisa konserviert in einer Zeitkapsel 40 Kompositionen, die erst 2123 veröffentlicht werden. Klingt fantastisch? Ist es auch.» – Podcast SRF2, 16. April 2024

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