Gleich der erste Song, den Johannes «Hans» Bouwens 1969 zusammen mit Jan Visser schuf, wurde ein Welthit. Hans Bouwens? Bekannter ist er unter dem Namen George Baker. Noch immer keine Aha? Dann hilft es bestimmt, wenn man sich diesen Song anhört: «Little Green Bag». Aha! Das Stück ist ein zeitloser Ohrenwurm und dürfte auch einem jüngeren Publikum bekannt sein, seit der Regisseur Quentin Tarantino ihn zu Beginn seines Films «Reservoir Dogs» (1992) einsetzte.
Musikalische Zeitenwende
Das Interesse ist geweckt: Wie kam Hans Bouwens zur Musik und wieso wurde er plötzlich zu George Baker, der mit unzähligen Songs bald ein weltweites Publikum erreichte? Der 1944 geborene Hans Bouwens sagt am Telefon zunächst nur «Nun…» – und erzählt dann in ruhigem, bescheidenem Tonfall. «Ich war etwa 13 Jahre alt. Und dann habe ich Elvis entdeckt. Ich dachte mir, das ist es, was ich machen will. Aber ich konnte nicht Gitarre spielen. Also habe ich mir von einem Nachbarn eine alte Gitarre geliehen und mir das Spielen selbst beigebracht.»
Dann begann Hans Bouwens auch zu singen – «das war mein eigentlicher Anfang als Musiker». Es war aber nicht nur die Singweise von Elvis Presley, die ihn faszinierte und beeinflusste, sondern auch dessen Bewegungen und natürlich die Wirkung der Musik. «Der Rock’n’Roll war zu dieser Zeit revolutionär» – und offensichtlich ansteckend. Bereits mit 15 hatte Hans Bouwens seine erste von mehreren Bands, die Rock’n’Roll-Klassiker von Grössen wie Elvis, Little Richard und Jerry Lee Lewis interpretierten.
Schwierig für holländische Bands sei damals vor allem gewesen, dass die regulären Radiosender diese Art von Musik nicht spielten. «Einzig der auf einem Schiff in der Nordsee stationierte Piratensender Veronica strahlte solche Musik aus, auch von neuen und niederländischen Bands. Das war eine grosse Chance für uns.» 1967 schloss sich Hans Bouwens dann der Band Soul Invention an, die Songs von einschlägigen Stars wie Otis Redding und Sam & Dave spielte – «manchmal sieben Tage die Woche».
Aus einem Lick wird ein Hit
Der Karrieresprung gelang 1969, als Soul Invention von einer Plattenfirma das Angebot erhielt, drei Songs in einem Studio aufzunehmen. Hans Bouwens erinnert sich. «Eines Abends sassen wir während einer Probe zusammen und improvisierten. Die Basis war ein Lick, das unser Bassist Jan Visser schon tagelang immer wieder gespielt hatte. Nach etwa zwei Stunden hatten wir ‹Little Green Bag› beieinander: meinen ersten Song, den ich geschrieben habe, zusammen mit Jan Visser. Er wurde zu meiner Überraschung ein Welthit. Das war der beste Start, den man sich als Songwriter wünschen kann.» Die Worte zur Musik seien ihm wie zugeflogen, erzählte er in einem anderen Interview. Der Produzent Richard de Bois habe das Stück dann noch richtig aufgenommen und gestrafft. Als er den Song erstmals am Radio hörte, habe er noch in einer Limonadenfabrik gearbeitet.
«Little Green Bag» versprach viel, hatte mit klassischem Soul aber nicht mehr viel zu tun, da lag eine Namensänderung nahe. Da Hans Bouwens mit dem Gesang im Mittelpunkt stand, übernahm er den Namen George Baker, und die Band wurde in George Baker Selection umbenannt. Im Internet wird die Geschichte erzählt, der Name George Baker gehe auf den gleichnamigen englischen Schauspieler zurück, der in zwei James-Bond-Filmen verschiedene Charaktere verkörpert hat. Hans Bouwens: «Diesen Schauspieler gibt es, aber ich habe den Namen schon früher in einem billigen Krimi gefunden und gedacht: das ist ein hübscher Name.»
Erstaunlich war nicht zuletzt, dass «Little Green Bag» und weitere Songs von der George Baker Selection auch in den USA zu Hits wurden, was kontinentaleuropäischen Bands bis heute nur selten gelingt. Hans Bouwens ist aber nicht der Ansicht, dass diese Songs einen «amerikanischen Sound» haben, «auch wenn die meisten Leute tatsächlich dachten, dass wir aus den USA kämen». Aber «Little Green Bag» habe damals einfach anders als die meisten Aufnahmen geklungen, nicht zuletzt, weil ein Teil in einem Keller aufgenommen worden sei und deshalb einen speziellen Hall-Sound habe. Zahlreiche Coverversionen von «Little Green Bag» sind seither erschienen, besonders stolz ist Hans Bouwens aber auf jene von Tom Jones, seinem zweiten Gesangsidol neben Elvis.
Eigenes Songmaterial
Mit dem Erfolg stieg der Druck, mehr eigene Musik für Schallplatten und Konzerte zu schaffen. Hans Bouwens fing an, «eine Menge Songs» zu schreiben; bis heute sollen es über 600 sein. Ein weiterer Grund sei gewesen, dass «wir im ersten Jahr nach ‹Little Green Bag› praktisch kein Geld verdient haben, weil wir unvorteilhafte Verträge hatten. Ab dem zweiten Jahr habe sich die wirtschaftliche Situation stark gebessert, auch weil die George Baker Selection oft vier- bis fünfmal pro Woche aufgetreten sei.
«Zwischen all diesen Auftritten habe ich dann meine Songs geschrieben. Für mich war es sehr hart, weil ich nach den Konzerten jeweils sehr spät nach Hause kam und morgens um 10 Uhr wieder aufstand. Ich frühstückte und begann, Songs zu schreiben. Gegen 16 Uhr ging es dann wieder auf die Strasse zum nächsten Auftritt.» Für ein ausschweifendes Rock’n’Roll-Leben habe er schlicht keine Zeit gehabt, meint er lachend.
Die weisse Taube
Der grösste Wurf gelang Hans Bouwens 1975 mit «Paloma Blanca». «Ich hatte damals ein kleines Studio. Eines Tages nahm ich dort eine Blockflöte in die Hand und fing an zu spielen, obwohl ich dieses Instrument nicht gut spielen kann. Und dann hatte ich plötzlich eine Art Traum von ‹Paloma Blanca›, hörte das Intro und die Melodie.» Die Idee für den Titel hatte er allerdings schon lange, bevor er den Song schrieb: «Ich habe, ihn auf einer Plakatwand in Spanien gelesen». So kam plötzlich alles zusammen. Er nahm ein Demo des Songs auf, für das er auch Gitarre und Bass spielte, das Schlagzeug andeutete. Speziell daran aber war, dass er als Sänger das Stück zunächst als Instrumental betrachtete. «Aber dann haben alle Leute um mich herum gesagt: ‹Das ist ein schönes Lied, du musst es singen›.»
Hans Bouwens liess sich überzeugen und begann einen Text dazu zu schreiben. «Der Rest ist Geschichte, könnte man meinen. Tatsächlich aber wollte unsere damalige Plattenfirma das Stück nicht veröffentlichen, weil sie dachten, es sei nichts wert. Der deutsche Musikmanager Siegfried ‹Siggi› Loch aber sagte beim Anhören schon nach anderthalb Minuten: ‹Das wird ein grosser Hit in Deutschland›. Er hatte recht. Der weltweite Durchbruch von ‹Paloma Blanca› begann in Deutschland.»
Gründe für den Erfolg
Da fragt sich, wo Hans Bouwens die Gründe für den Erfolg sieht. «Ich denke, dass es sowohl am Text als auch an der Musik liegt. Es hat ein unüblich langes Intro und enthält zwei Modulationen. Ich denke aber auch, dass der Sound und das Arrangement einiges zu seinem speziellen Charakter beigetragen haben, denn Mitte der 1970er Jahre klangen Songs anders.» In den 1990er Jahren wurden «Paloma Blanca» und auch «Little Green Bag» erneut zu Hits, was auf unzählige Coverversionen, die Verwendung in Werbespots und den Aufstieg von Quentin Tarantino zurückzuführen ist, wodurch auch sein Debüt-Kinofilm mit dem Intro-Song neu entdeckt wurde.
Gibt es neben diesen zwei Hits auch noch einen Song, auf den Hans Bouwens besonders stolz bist? «Ja, ich liebe das Lied ‹(Fly Away) Little Paraquayo›, in dem es um die alte Geschichte eines südamerikanischen Indianers geht, der Sklave wurde und dann befreit wird.» Es ist denn auch kein Zufall, dass viele seiner Songs einen spanischen oder südamerikanischen Einfluss haben, sei es in den Texten oder auch in der Musik. «Ich bin eigentlich eins mit der südamerikanischen Kultur. Ich habe viele Bücher über die Geschichte Südamerikas gelesen, und ich mag die Musik, speziell die paraguayische und die mexikanische Musik. Und ich höre immer noch viel von dieser Musik.»
Die Bedeutung der Urheberrechte
Hans Bouwens betont im Gespräch die Bedeutung des Urheberrechts. «Es ist sehr, sehr, sehr wichtig, weil ich dadurch für die Nutzung meiner Kompositionen und Texte entschädigt werde. Als ich als Musiker anfing, wusste ich nichts darüber. Zum Glück hat mir später ein Manager einer Plattenfirma die Bedeutung erklärt, denn damals gab es kein Internet oder so etwas, wo man sich leicht hätte informieren können.» Ab 1970 interessierte er sich für die Urheberrechtsgesetze und meldete seine Songs an, engagierte für komplizierte Angelegenheiten einen Anwalt.
Ende der 1970er Jahre wechselte er zur SUISA. «Ich hatte einen urheberrechtlichen Konflikt und zog nach Spanien. Deshalb dachte ich, dass ich am besten auch die Urheberechtsgesellschaft wechsle. Irgendwo las ich, dass die SUISA gut sei. Und ich denke bis heute, dass eine kleine Gesellschaft von Vorteil ist, weil man dann eher von deren Angestellten wahrgenommen wird. So wurde ich Mitglied von SUISA.» Und er ist es bis heute, nicht nur weil er mit deren Arbeit zufrieden ist: «Ich fühle mich bei der SUISA wohl, irgendwie auch zuhause, obwohl ich längst wieder in den Niederlanden lebe.»
Er ist auch der Ansicht, dass die SUISA sich soweit möglich gut an die neue Situation der digitalen Streaming-Plattform angepasst hat. «Die Einnahmen aus dem Streaming sind allerdings sehr gering. Ich denke, das muss sich ändern.» Er sei ein alter Mann, der sich noch an die viel höheren Einnahmen erinnern könne, die man einst mit CDs und Vinyl erzielen konnte.
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