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«Gemeinsam sind wir stärker»
Neu bei der SUISA: Diane Tell hat in der Schweiz eine neue Heimat gefunden.
Foto: Benjamin Decoin
Text von Gastautor Markus Ganz
Diane Tell ist im französischen Sprachraum seit über 40 Jahren bekannt für aussergewöhnliche Chansons. Auf ihrem Blog berichtet die Frankokanadierin zudem prononciert über die Entwicklungen des Musikbusiness’ und ihre Erfahrungen damit. Kürzlich ist die Komponistin, Texterin, Produzentin, Gitarristin und Sängerin der SUISA beigetreten.

Selbst auf 2362 Metern über Meer, hoch über dem Rhonetal bei Sion, ist Diane Tell präsent. Im Bergrestaurant einer Gondelbahn sind Bilder von ihr aufgehängt. Als der Journalist die von ihr selbst verfremdeten Fotos betrachtet, kommt der Chef hinzu und beginnt über Diane Tell zu sprechen. Manchmal gebe sie hier sogar Konzerte, man solle ihr bitte die besten Grüsse ausrichten. Diane Tell schmunzelt, als sie dies an ihrem darunterliegenden Wohnort hört: «Ab und zu singe ich auch in der lokalen Kirche, denn die Leute hier sind nett und diskret, nie aufdringlich.»

Der Weg in die Schweiz

Diane Tell wuchs im frankophonen Québec auf, wohnte ab 1988 rund 30 Jahre lang in Frankreich und lebt nun seit acht Jahren in der Schweiz. Der Nachname habe aber nichts mit dem Schweizer Nationalhelden zu tun, erklärt sie lachend. Als sie ihre Musikkarriere begann, habe sie nach einem Künstlernamen gesucht, weil ihr Familienname im Québec sehr häufig sei – in ihrer Schulklasse hätten drei denselben Namen gehabt. Der Name der kanadischen Telefongesellschaft Bell habe ihr gefallen, und so habe sie diesen in Pell abgewandelt. «Doch der Drucker des Konzertplakats hat am Telefon Tell verstanden – und so stand es dann auf dem Plakat. Ich dachte, nun ja, das muss Schicksal sein, zumal Pell in Frankreich als Schaufel (pelle) missverstanden werden kann.»

Es ist allerdings kein Zufall, dass Diane Tell in die Schweiz gezogen ist. Mit leuchtenden Augen erzählt die heute 63-Jährige: «Bereits als Mädchen hatte ich den Traum, in die Schweiz zu reisen. Ich fuhr schon damals gerne Ski und liebte Jazz, weshalb ich ans Montreux Jazz Festival gehen wollte. Im Alter von 14 Jahre kaufte ich mit meinem eigenen Geld ein Ticket, um in die Schweiz zu reisen. Doch meine Mutter untersagte es mir leider. Mein Kindheitstraum zeugt wohl von meinem guten Gespür, denn ich liebe es wirklich, hier in den Bergen zu leben.»

Zeitlos – und wieder aktuell

Das selbstbetitelte erste Album von Diane Tell erschien 1977. Drei Jahre später gelang ihr mit «En Flèche» der internationale Durchbruch. Das ist vor allem mit dem darauf enthaltenen Hit «Si j’étais un homme» zu erklären, der im frankophonen Raum zum Evergreen geworden ist. «Er macht immer noch über 80% des Airplays meines Songkatalogs aus und ist auch für Synchronisationsrechte begehrt», erklärt Diane Tell. Dazu trägt bei, dass bis heute rund 20 andere Künstler neue Versionen dieses Chansons veröffentlicht haben, dessen Titel aktueller denn je wirkt. Der Text ist raffiniert und voller Ironie, aber auch schön romantisch. «Ich wollte damit ausdrücken, dass ich als arbeitende junge Frau nicht in der feministischen Bewegung war, weil ich bereits unabhängig war. Also habe ich meinem potenziellen Liebhaber gesagt: Wenn ich ein Mann wäre, würde ich diese Dinge für dich tun.»

Auch andere Songs von ihr aus den 1980er Jahren wirken zeitlos und erstaunlich lebendig. «Man muss verstehen, dass ich am Konservatorium studiert habe», erklärt Diane Tell. «Deshalb sind schon meine frühen Songs in Bezug auf Melodie und Harmonie etwas komplexer als übliche Popsongs. Ausserdem habe ich von Anfang an mit aussergewöhnlichen Musikern aufgenommen, die fast ausschliesslich organisch klingende Instrumente eingesetzt haben.» Auf dem ersten Album waren lokale Jazzmusiker zu hören, ab dem zweiten Album habe sie stets mit den bestmöglichen Musikern aufgenommen, darunter Grössen wie Pino Palladino und Robbie McIntosh von der Paul McCartney Band.

Die Herausforderung französischer Texte

Diane Tell hat sich mit ihrer Neugierde über die Jahre stark weiterentwickelt und ihre künstlerische Handschrift geschärft, wie das nachdenkliche, fast schon meditative aktuelle Album «Haïku» (2019) zeigt. Man wundert sich jedenfalls nicht, dass ihr 2022 vom französischen Kulturministerium die Auszeichnung «Chevalier des Arts et des Lettres» verliehen wurde. Zu ihren Karrierehöhepunkten gehört auch ihre Beteiligung an zwei Musicals, die zusammen über 300 Mal aufgeführt wurden. In «La légende de Jimmy» spielte und sang sie eine wichtige Rolle, in «Marilyn Montreuil» spielte sie nicht nur die Hauptrolle und sang, sie komponierte auch die Musik dazu.

Zurzeit stellt Diane Tell mit dem Arrangeur und Mitkomponisten Pablo Pico ihr 16. Studioalbum fertig, das nächstes Jahr erscheinen soll. Die Vertonungen von bereits bestehenden, integral belassenen erotischen Gedichten, die bis zu 500 Jahre alt sind, klingen bereits als Demoversionen souverän ruhig, subtil und charaktervoll. «Da ich die Texte sonst fast immer selbst schreibe, ist mir die Bedeutung eines guten Textes sehr bewusst. Besonders in der französischen Tradition von Grössen wie Jacques Brel und Léo Ferré ist es meiner Meinung nach zwingend, dass man Texte schreibt, die wirklich etwas aussagen und auch noch gut klingen; das ist sehr schwierig.»

Unabhängigkeit über alles

Die digitalen Umwälzungen im Musikbusiness sind auch für Diane Tell eine grosse Herausforderung. Im Jahr 2000 habe eine Major-Firma ihren gesamten Songkatalog lizenziert, womit sie die Produktion eines neuen Albums habe finanzieren können. Aber dann sei der Markt sehr schnell eingebrochen und sie habe einen Vertrag für den digitalen Vertrieb ihres gesamten Katalogs abgeschlossen, gut fünf Jahre vor Spotify. «Dabei gefällt mir besonders, dass ich den Besitzer dieser Firma kenne und direkt ansprechen kann.» Dann gründete sie ihr eigenes Label Tuta Music, um noch unabhängiger zu werden. «Das war für mich natürlich einfacher, weil ich nicht mehr am Karriereanfang stehe und einen Backkatalog habe, der mir gehört und mir Einkommen verschafft. Ich produziere aber meine Musik selbst und muss sie auch finanzieren.»

Für ihr Label kann Diane Tell die physische Versionen ihrer Musik genau so produzieren, wie sie es will. Solche Tonträger gehörten mittlerweile zum Merchandising und würden grösstenteils an ihren Konzerten verkauft. Sie zeigt als Beispiel eine aufwändig gestaltete Doppel-Vinyl-Version von «Haïku» mit viel beigelegtem Exklusiv-Material. «Solche Produkte lasse ich marktgerecht in kleinen Mengen produzieren und in den einzelnen Ländern vertreiben. Ich habe einmal dem Vertreter einer Schweizer Plattenfirma selbst die bestellten Exemplare einer Box an einer Autobahntankstelle übergeben.» Der grosse Vorteil ihrer Unabhängigkeit sei, dass sie nun Zugang zu allen Verkaufsdaten habe und diese auswerten könne. «Mein Firma Tuta Music wuchs zur gleichen Zeit, wie die Einnahmen aus den digitalen Rechten wuchsen. Das war wahrscheinlich der zweitklügste Schritt, den ich in meinem Leben gemacht habe. Der erste war natürlich, mich selbstständig zu machen.»

Erfahrungen weitergeben

Diana Tell war als Komponistin und Texterin 41 Jahre Mitglied der französischen Urheberrechtsgesellschaft Sacem, bei der kanadischen Urheberrechtsgesellschaft Socan sogar 47 Jahre und davon 5 Jahre auch als Vorstandsmitglied. «Ich habe die Vorstandsarbeit bei Socan geliebt», erklärt Diana Tell. «Denn ich glaube an die kollektive Rechtewahrnehmung und habe als Vorstandsmitglied versucht, sie zu verbessern. Gemeinsam sind wir stärker. Das ist wichtig, denn es gibt eine Menge Druck von Seiten der Industrie, vor allem seit dem Streaming. Es gibt Hedge-Fonds, die Kataloge aufkaufen, und zwar nicht nur die Verlagskataloge, sondern auch die eigentlichen Rechte der Komponisten.»

Seit Juni 2023 ist Diana Tell als Komponistin und Texterin Mitglied der SUISA. Als Verlegerin habe sie noch immer einen Verlag, der Mitglied der Socan und der Sacem ist. Und sie habe schon länger einen Verlag bei der SUISA. Dieser war letztlich der Grund, weshalb Diana Tell auch als Komponistin und Texterin zur SUISA gewechselt ist. «Ich habe festgestellt, wie aktiv und mutig sich die SUISA mit Mint an den aktuellen Entwicklungen im digitalen Bereich beteiligt, wie professionell sie arbeitet.»

Von ihren Erfahrungen lässt Diana Tell auch andere profitieren. Auf ihrem populären Blog «Diane Cause Musique» (Untertitel: «Je ne suis pas un modèle, je suis libre») erklärt sie, wie das Musikbusiness in allen Facetten funktioniert und was es zu beachten gibt. Der wichtigste Rat an junge Künstler sei: «Egal, mit wem ihr zusammenarbeitet, ihr müsst diesem Geschäftspartner etwas zurückgeben, ihr müsst den Gewinn teilen. Aber das sind Beziehungen, die einen Anfang und ein Ende haben. Sagen wir also, wir sprechen über die ersten fünf Jahre einer Karriere. Ihr könnt halb und halb teilen, wenn es euch das wert ist. Aber stellt sicher, dass ihr, wenn die Geschäftsbeziehung endet, eure Rechte an der Musik zurückbekommt.»

www.dianetell.com, offizielle Website von Diane Tell
Diane Cause Musique, offizieller Blog von Diane Tell

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