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Anpassung des Urheberrechts an die digitale Verwendung von Werken
In den EU-Staaten hat die Reform des Urheberrechts hohe Wellen geworfen und zu Protesten von vor allem jungen Internetnutzern im Netz und auf der Strasse geführt. Angefeuert von Social Media-Plattformen wird behauptet, wegen des neuen Urheberrechts sei die Meinungsäusserungsfreiheit ernsthaft in Gefahr.
Foto: Emmanuele Contini / NurPhoto via Getty Images
Text von Andreas Wegelin
Nach monatelangem Protest auf der Strasse und in der Internet-Community hat am 26. März 2019 das EU-Parlament den Vorschlag zur neuen Richtlinie der EU über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt genehmigt. Die Revisionen des Urheberrechts in der Schweiz und in der EU: Was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede?

Einige Tage vor dem Entscheid des EU-Parlaments hat der Ständerat am 12. März 2019 die Vorlage zur Revision des Urheberrechts in der Schweiz an seine vorberatende Kommission Wissenschaft Bildung Kultur WBK zurückgewiesen. Der Rat hat dazu seiner Kommission den Auftrag gegeben, die aktuellen Entwicklungen in der EU zu berücksichtigen.

Trotz des von Bundesrätin Sommaruga, der damaligen Justizministerin, sorgfältig austarierten AGUR-Kompromisses drohen der Revision des Urheberrechts noch einmal Verzögerungen und damit auch die Gefahr, dass einzelne Partikularinteressen, welche bisher wegen des geschlossenen Kompromisses in der vorberatenden Arbeitsgruppe Urheberrecht (AGUR) hintangestellt wurden, erneut aufkommen.

Die wichtigsten Revisionspunkte in der europäischen Regelung

In der europäischen Regelung besonders umstritten sind zwei grundsätzliche Verbesserungen des Schutzes für die Urheber:

Die Verantwortlichkeit der Plattformbetreiber für das Teilen von Inhalten, welche von Konsumenten hochgeladen werden
Diese Vorschrift betrifft vor allem die grossen Social Media-Plattformen (Google, Apple, Facebook und Amazon, kurz: GAFA). Gemäss dem geltenden EU-Recht konnten sich deren Betreiber auf den Standpunkt stellen, sie wären lediglich technischer Dienstleister und nicht verantwortlich für den Inhalt, der auf ihren Plattformen zur Verfügung gestellt wird. Diese Haltung geht auf die E-Commerce-Richtlinie der EU aus dem Jahre 2000 zurück, in welcher – zur Ankurbelung der digitalen Wirtschaft – die Haftung der technischen Dienstleister beschränkt wurde (das sogenannte «Safe Harbour»-Prinzip).

Mittlerweile wurde zu Recht anerkannt, dass durch den Upload von geschützten Inhalten durch Private Urheberrechte verletzt werden. Selbst Anbieter wie Google suchten wegen Youtube den Kontakt zu den grossen Rechteinhabern und Verwertungsgesellschaften, allerdings immer um auf «freiwilliger» vertraglicher Basis eine finanzielle Abgeltung zu leisten. Plattformen wie Youtube sind deshalb so beliebt, weil mittlerweile dort praktisch sämtliche Inhalte verfügbar sind und von Musik- oder Filmbegeisterten immer weiter geteilt werden.

Gemäss Art. 17 der neuen Richtlinie (im Entwurf war es noch Art. 13) wird jetzt definiert, dass die Mitgliedstaaten der EU Regeln vorsehen müssen, dass Dienstanbieter urheberrechtlich verantwortlich sind für Inhalte, welche auf ihren Plattformen geteilt (hochgeladen) werden.

Das wird die GAFAs dazu zwingen, entweder mit sämtlichen Rechteinhabern Lizenzverträge auszuhandeln oder aber durch technische Massnahmen (sogenannte Uploadfilter) zu verhindern, dass geschützte Inhalte überhaupt noch hochgeladen werden können. Die Aussicht auf letztere Massnahme hat die Internet-Community aufgewühlt und zu Demonstrationen vor dem EU-Parlament geführt, da sie eine einschneidende Beschränkung der Meinungsäusserungs- und der Kunstfreiheit befürchten.

Schutz der Presseverlage vor Veröffentlichung ihrer Artikel auf Internet-Plattformen
Auch der Artikel 15 (vormals 11) der neuen Richtlinie war in der Debatte sehr umstritten. Das sogenannte Leistungsschutzrecht für Verleger sollte diesen eine Beteiligung an der Weiterverbreitung ihrer Inhalte, z.B. auf Google News bringen. Interessanterweise kann aber gerade der Hinweis auf Google News die Reichweite für den Presseverlag steigern, und eine blosse Neuigkeit an sich ist urheberrechtlich gar nicht schützbar. Ähnliche Regelungen in einzelnen EU-Ländern erwiesen sich als unwirksam, insbesondere weil die grossen Presseverlage doch lieber von der Gratiswerbung auf Google News profitierten als wegen des drohenden Lizenzanspruchs von Google- News nicht mehr berücksichtigt zu werden.

Die wichtigsten Revisionspunkte der Schweizer Revisionsvorlage

Unterschiedliche Rechtslage zur EU
Das Schweizer Gesetz (URG) und die Rechtslage in der Schweiz kennen einige wesentliche Unterschiede zum EU-Recht und zu den urheberrechtlichen Gesetzesbestimmungen der einzelnen EU-Länder. So gilt die EU-Richtlinie von 2000 zum Binnenmarkt in der Schweiz nicht. GAFAs können sich nicht auf das «Safe Harbour»-Prinzip berufen. Grundsätzlich wäre die Haftung der Plattformbetreiber für die von ihren Benutzern geteilten Inhalten bereits gegeben, allerdings prozessual nur aufwendig und risikoreich durchsetzbar. Das Schweizer URG kennt zudem den Grundsatz, dass der Konsument aufgrund der Bestimmungen zur Privatkopie auch Inhalte aus dem Internet nutzen darf, ungeachtet dessen, ob die Quelle lizenziert ist oder nicht. Das entspricht einer liberalen Haltung und widerspiegelt vor allem die Einsicht, dass der massenhafte Konsum von Inhalten aus dem Internet urheberrechtlich mit vernünftigem Aufwand nur beim Anbieter, aber sicher nicht beim Konsumenten lizenziert werden kann.

Der AGUR-Kompromiss
Im Rahmen dieser erwähnten schweizerischen Grundsätze wurde auch der AGUR-Kompromiss vom März 2017 beschlossen. Darauf aufbauend, allerdings mit einigen Unschärfen zulasten der Urheber, hat der Bundesrat dem Parlament eine Revisionsvorlage vorgelegt. Zur Verschärfung der Haftung der Provider ist eine sogenannte «Stay-Down»-Verpflichtung vorgesehen. Plattformen müssen einmal als rechtswidrig erkannte Inhalte dauerhaft von ihren Plattformen fernhalten. Die URG-Vorlage des Bundesrates enthält neben weiteren wichtigen Verbesserungen für die Urheber, über welche wir bereits verschiedentlich berichtet haben auch Anpassungen an die Digitalisierung, wie beispielsweise eine sogenannte Wissenschaftsschranke für das Text- und Data-Mining, oder die vereinfachte Lizenzvergabe über eine erweiterte Kollektivlizenz. Die letzten beiden Vorschläge sind auch in der eben beschlossenen EU-Richtlinie (Art. 4 bzw. Art. 12) vorgesehen.

Vergütung für Journalisten und Leistungsschutzrecht für Verleger
Die Kommission des Ständerates hat am 12. Februar 2019 nun vorgeschlagen, auch in der Schweiz einen Vergütungsanspruch für Journalisten und einen Leistungsschutz für Verleger einzuführen, wenn ihre Erzeugnisse auf Internet-Plattformen weiterverwendet werden. Zu begrüssen ist sicherlich die Verankerung eines Vergütungsanspruchs für Journalisten, möglicherweise könnte ein solcher auch genügen, wenn die Journalisten als die ursprünglich kreativ tätigen Personen die Verleger an den Ansprüchen beteiligen würden. Es bräuchte dann kein umstrittenes Leistungsschutzrecht mit der oben geschilderten zweifelhaften Wirkung.

Ausnahme für Bibliotheken
In letzter Minute hat die Ständeratskommission zudem eine Gesetzesbestimmung vorgeschlagen, wonach das Vermieten von Werken in öffentlichen Bibliotheken von der seit 1993 geltenden Vergütungspflicht für das Vermieten ausgenommen sein soll. Dahinter steckt ein starkes Lobbying der Bibliotheken, welche gemäss dem bisher geltenden Tarif für das Vermieten von Werken nichts zahlen mussten, wenn das Entgelt als Jahresgebühr, nicht aber als einzelne Gebühr beim Bezug des Werkes bezahlt wurde. Tatsache ist jedoch in all diesen Fällen, dass Bibliotheken ihren Benützern gegen ein geringes Entgelt Bücher, DVDs, CDs oder Musikstreaming zu Verfügung stellen und damit die entsprechenden Märkte konkurrenzieren.

Ausnahme für Weiterleitung in Gästezimmer
Wie schon bei den Bibliotheken weicht auch die Ausnahme für Gästezimmer vom AGUR-Kompromiss zulasten der Urheber ab. Dem intensiven Lobbying der Gastgewerbeverbände ist es zu verdanken, dass der Nationalrat bereits im Dezember 2018 eine Ausnahme für den Empfang von Sendungen in Hotelzimmern und Ferienwohnungen vorgesehen hat. Die Ausnahme wurde zudem ausgedehnt auf Zimmer in Heimen und Gefängniszellen. Auch diese Forderung geht auf einen Tarifstreit mit den Verwertungsgesellschaften zurück. 2017 hat das Bundesgericht klargestellt, dass es sich bei der Nutzung in diesen Räumlichkeiten nicht um eine private Nutzung handelt, wenn der Hotelier oder Vermieter den Empfang ermöglicht und die entsprechenden Geräte zur Verfügung stellt. Beide handeln in diesem Fall mit Gewinnabsicht, das heisst: Die Bereitstellung der Empfangsmöglichkeit von geschützten Inhalten ist ein Verkaufsargument für die Vermieter und beeinflusst deren Umsatz. Es kann nicht sein, dass die Künstler mittels dieser Ausnahme das Gastgewerbe subventionieren und sich ihre Situation im Vergleich zum heutigen Urheberrecht dadurch wesentlich verschlechtert.

Die Schweiz braucht ein erneuertes Urheberrecht jetzt – ohne zusätzliche Ausnahmen!

Seit 2010 wird in der Schweiz um eine Modernisierung des Urheberrechts gerungen. Mit dem AGUR-Kompromiss konnte einiges hinsichtlich einer Anpassung an die zeitgemässen Gegebenheiten erreicht werden. In der parlamentarischen Debatte tauchen wie zuvor erwähnt Einzelinteressen auf, welche dieser Modernisierung zuwiderlaufen und sogar eine Verschlechterung des geltenden Rechts darstellen. Das darf nicht sein. Etwas anders verhält es sich mit dem Anspruch der Journalisten: Die Problematik der Weiterverwendung von Presseerzeugnissen im Internet ist bei einer Modernisierung des Gesetzes ernsthaft zu prüfen. Vielleicht ist aber die Zeit noch nicht reif dafür. Das hat auch die Ständeratskommission an ihrer zweiten Beratung zum Urheberrecht am 29. April erkannt und den Bundesrat auf dem Weg des Postulats aufgefordert, die weitere Entwicklung des Urheberrechts in Europa zu prüfen.

Das Parlament wäre also gut beraten, jetzt in der Sommersession 2019 die Revision des Gesetzes im Rahmen des AGUR-Kompromisses und ohne zusätzliche Ausnahmen für Bibliotheken oder das Gastgewerbe zu beschliessen.

Behutsame Übernahme und Anpassung der EU-Richtlinie an die Schweizer Verhältnisse in naher Zukunft

Die neue EU-Richtlinie könnte künftig trotzdem Vorbild sein für weitere Anpassungen des Schweizer Gesetzes. Die WBK des Ständerates verlangt vom Bundesrat wie erwähnt bereits einen Bericht zur Situation, insbesondere der Journalisten und Zeitungsverleger, in dem die Verantwortlichkeit der Plattformbetreiber genauer untersucht werden soll. Weiter ist das Teilen bzw. der Upload geschützter Inhalte im Internet noch weniger kontrollierbar als die Privatkopie. Die EU-Richtlinie hat deshalb zu Recht eine Verantwortlichkeit der GAFAs festgestellt, weil diese ja das Teilen erst ermöglichen und attraktiv machen. Es dürfte allerdings für die GAFAs schwierig sein, die Nutzung eines jeden hochgeladenen Beitrags bei den betroffenen Rechteinhabern zu lizenzieren.

Eine Möglichkeit wäre eine Verpflichtung der Plattformen, die Rechteinhaber pauschal für das Teilen von Inhalten auf den Plattformen zu entschädigen. Was man nur mit unsinnigem technischem Aufwand kontrollieren kann, wäre besser generell zu erlauben, gleichzeitig aber die Plattformen als Anbieter von Uploadmöglichkeiten zu verpflichten, die Urheber und weiteren Rechteinhabern in einer gesetzlichen Lizenz ähnlich wie bei der Privatkopie über die Verwertungsgesellschaften zu entschädigen. Der Schweizer Gesetzgeber wird sich in den kommenden Jahren mit diesen Fragen – und mit Blick über die Grenzen auf die Umsetzung der EU-Richtlinie – nochmals neu und eingehend befassen müssen.

Nach der Revision ist vor der Revision

Das Urheberrechtsgesetz wird somit voraussichtlich für längere Zeit eine Baustelle bleiben. Durch die Digitalisierung, die Möglichkeit des einfachen weltweiten Austausches von geschützten Werken im Internet und neu aufkommender technologischer Entwicklungen wie künstliche Intelligenz oder maschinellen Lernens, werden die rechtlichen Normen erneut zu überprüfen sein. Somit ist die hoffentlich im Juni 2019 im Sinne des AGUR-Kompromisses abzuschliessende Revision des Schweizer Urheberrechts kaum die letzte, sondern bereits der Auftakt zu einer nächsten.

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