Was bedeutet Ihnen die Nomination für den Musikpreis des Bundesamtes für Kultur?
Tobias Jundt: Es ehrt mich natürlich, dass meine Kunst auch als solche erkannt und gewürdigt wird. Gerade wenn man etwas kreiert, was normalerweise eher zwischen Stuhl und Bank fällt und nicht klar eingeordnet werden kann, braucht es auch seine gute Zeit, um überhaupt als Künstler mit einer eigenen Sprache wahrgenommen zu werden. Es ist ja eigentlich unmöglich, bei der dargebotenen Vielfalt das Schaffen der einen mit dem Œuvre der anderen zu vergleichen oder zu gewichten. Aber ich bin nach 30 Jahren als Songschreiber durchaus geschmeichelt, die kulturelle Sprache meines Landes als eine mögliche musikalische Stimme mitvertreten zu dürfen.
Den Musikpreis vergibt das BAK 2016 im Vorfeld des Festivals Label Suisse. Das Festival in Lausanne bringt an 3 Tagen hauptsächlich Schweizer Musik aus verschiedenen Genres auf die Bühnen. Die Konzerte können kostenlos besucht werden. Weshalb braucht die Schweizer Musik einen Musikpreis vom BAK und ein Festival wie das Label Suisse?
Ich denke, wir können uns einfach dankbar schätzen, einem Staat angehörig zu sein, der sich die Zeit nimmt, Kunst zu würdigen, und glücklicherweise auch noch das Kleingeld in der Tasche sitzen hat, den geehrten Künstlern durch diesen Preis ihr Schaffen temporär ein gutes Stück zu vereinfachen. Alle der hier Nominierten würden auch ohne Preisverleihung unerbittlich das tun, was sie tun, und dem Wellengang des Lebens trotzen. Dass das BAK uns dabei unterstützt und ein wenig silbernen Wind in die Segel bläst, darf man dankend annehmen.
Festivals sind Orte, wo man etwas entdeckt. Zuhörer entdecken Musikkapellen, Künstler entdecken andere Künstler, Kollaborationen entstehen und der Schwyzerörgeli-Fan verliebt sich am Rande in den Stockhausen-Liebhaber. Festivals ersetzen nie das abendfüllende Konzerterlebnis eines Künstlers, aber als Disziplin des Austausches und des Aufeinanderprallens von Ausdruck sind sie sehr wichtig. Sich für eine breite und weltoffene Kultur stark machen ist immer der richtige Weg.
«Es braucht einen sehr langen Atem, einen unermüdlichen Angriffswillen und stoische Hartnäckigkeit, was das Ausleben des künstlerischen Dranges angeht.»
Gegenüber der NZZ haben sie einmal gesagt, dass man in der Schweiz nur mit Mainstream-Pop-Musik oder in stark subventionierten Genres wie Jazz oder Klassik überleben könne. Was muss sich ändern, dass das vielfältige Schweizer Musikschaffen sowohl in der Heimat als auch im Ausland vermehrt gehört wird?
Ein Problem ist, dass eine nur auf die Schweiz bezogene musikalische Nische halt wirklich klein ist, sodass sie nicht als Hauptberuf sondern eher ergänzend ausgeübt werden kann. Man muss also entweder in einem absatzstarken Genre oder einem subventionierten Umfeld tätig sein, oder sich eben geografisch ein grösseres Territorium vorknöpfen. Letzteres braucht einen sehr langen Atem, einen unermüdlichen Angriffswillen und stoische Hartnäckigkeit, was das Ausleben des künstlerischen Dranges angeht. Ausser die Motiviation für diesen künstlerischen Wahnsinn kommt von ganz tief drin, gibt es leider für die meisten Schweizer keinen dringlichen Grund hierfür, die bereits vorherrschende Lebensqualität aufs Spiel zu setzen. Man muss ja schon auch ein wenig verrückt sein, darauf zumindest temporär verzichten zu wollen, um da draussen einen harten musikalischen Acker zu bestellen. Ich treffe auf meinen Reisen immer wieder sehr aktive Auslandschweizer. Es mangelt sicher viel weniger am Talent als an der Einstellung.
Seit 2006 leben und arbeiten Sie in Berlin und haben sich dort etabliert. Wie kann man als Schweizer Songschreiber im Ausland bestehen und wie wird die Schweizer Musik Ihres Erachtens im Ausland wahrgenommen?
Die meisten Menschen dieses Sonnensystems lieben die Schweiz und das, was sie verköpert. Das vergisst man manchmal, wenn man zu lange auf dem Berg sitzt. Wenn ich für andere Künstler in Berlin oder New York Musik schreibe, fragt schlichtweg niemand danach, wo ich aufgewachsen bin. Es geht immer genau nur um eines: für die entsprechende Phase eines Künstlers das richtige Werk zu schreiben. Und da kann es um kommerziellen Erfolg oder um künstlerische Erneuerung gehen. Und wenn ich als Solokünstler Bonaparte von Beijing bis Wellington meine Songs singe, fragt auch niemand nach meiner Herkunft – obwohl ich ehrlich gesagt sehr gerne anfüge, dass ich Schweizer bin – weil es mich gerade von den meisten da draussen unterscheidet und wichtiger Teil meines Wesens ist. Um bestehen zu können, muss man einen wachsamen Geist haben und die verschiedenen Parameter der Kulturen aufsaugen und einsetzen. Jeder kann das, egal wo er herkommt.
«Ich behaupte, dass die Schweiz eine der besten Urheberrechtsgesellschaften der Welt hat. Die SUISA ist, wo ich als Komponist hingehöre.»
Sie wohnen in Deutschland, sind aber bei der Schweizer SUISA Mitglied. Weshalb?
Ich behaupte, – und diesen Standpunkt teilen auch einige ausländische Autoren – dass die Schweiz eine der besten Urheberrechtsgesellschaften der Welt hat. Dies sage ich mit gutem Gewissen und aus eigener Überzeugung. Ich war in der Vergangenheit in den USA auch Mitglied der BMI und betreibe einen Verlag bei der GEMA. Alles gut und recht, aber die SUISA ist, wo ich als Komponist hingehöre. Ich mochte die Zeit unter Poto Wegener sehr und hatte durch seine Unterstützung damals auch begonnen, mich intensiver mit dem Urheberrecht zu befassen. Die guten Beziehungen zum Hause SUISA sind geblieben und ich schätze den gegenseitigen Austausch und Respekt sehr.
An der Zürcher Hochschule der Künste unterrichten Sie im Fach «Songwriting». Kann man lernen, einen Hit zu schreiben? Welche Ratschläge geben Sie den Studenten für das Komponieren mit auf den Weg?
Meistens rate ich ihnen vor allem, alles zu vergessen, was sie zu wissen glauben. Ich äussere gerne meinen Wunsch, dass sie als Menschen und nicht als Musiker Songs schreiben sollen. Natürlich helfen uns analytisches oder theoretisches Wissen und praktische Techniken, um aus musikalischen Sackgassen schneller herauszufinden. Aber im Kern der Ideenfindung unterscheidet uns nicht sehr viel von Herrn und Frau Hugentobler, welche morgens in der Dusche eine Melodie pfeifen. Man kann sich natürlich wie bei allem im Leben – sei dies die Schlägerhaltung des Golfspielers oder das Kamasutra für den Liebhaber – eine Technik aneignen, mit der man es an jedem grauen Tag der Woche schafft, gute Songs zu schreiben. Aber gute Songs gibt es eben auch viele und genug – man muss vielmehr versuchen, diese Songs mit dem gewissen Etwas zu schreiben; die Songs, welche auch nach dem Lebenswerk von Lennon-McCartney und Udo Jürgens und Igor Strawinsky und Daft Punk trotzdem in ihrem Genre noch eine Berechtigung haben, auf die Menschheit losgelassen zu werden. Das gelingt nicht immer, aber dafür muss der Songwriter morgens aufstehen – für den Versuch, einen Song zu schreiben, der diese Welt auf seine Art noch bereichert.
«Das Allerwichtigste, was es überhaupt gibt, noch immer und heute erst recht, ist die musikalische Idee.»
Der Musiker auf der Konzertbühne ist nicht zwingend der Songschreiber, der neben dem Star im Rampenlicht häufig in Vergessenheit gerät. Wie können Komponisten in der öffentlichen Wahrnehmung aus dem Schatten der Interpreten treten?
Die Frage ist, ob er dies muss. Ich singe nur die Songs, die ich keinem anderen Interpreten zutrauen kann. Der psychologische Druck, der auf einen Frontmann und Interpreten zu fallen kommt, kann auf Dauer auch ganz schön anstrengend sein. Ein Songwriter kann jedoch im Hintergrund agieren, irgendwo unbemerkt an sein Klavier sitzen, um sich nur auf den Kern der Musik zu konzentrieren. Und glauben sie mir, das Allerwichtigste, was es überhaupt gibt, noch immer und heute erst recht, ist die musikalische Idee. Nichts und gar nichts schlägt den wirklich gut geschriebenen Song, der das Handwerk geschickt mit dem Orginellen verbindet. Es besteht also durchaus Hoffnung für alle, die den Teufel an die Wand gemalt glaubten. Ich bin sehr froh damit, bei der SUISA ein Dutzend Pseudonyme zu bedienen – songwriterische Rollen, in die ich je nach Stilrichtung oder Stimmung schlüpfen kann und die nicht einmal meine engsten Freunde beim Namen kennen. Ich mag es, dass das professionelle Songschreiben manchmal auch einfach ein Gehemnis zwischen mir und einem Blatt Papier bleibt. Wenn der Musiker auf der Bühne irgendwas Seltsames tut, spricht am Tag darauf jeder darüber. Wenn der Komponist nackt ein kleines Streichquartettchen komponiert und dazu zwei Gläser Erdnussbutter löffelt, interessiert es keinen. Ich finde das gut so. Wichtig ist, dass wir Komponisten uns austauschen und dass unsere Rechte im Wandel der Zeit vertreten werden.
Musik für Dritte komponieren oder wie mit Mule & Man auf der Bühne performen – was macht für Sie den Reiz der beiden Tätigkeiten aus?
Ich hatte durchaus auch elitäre Phasen in meinem Leben, in denen ich nur diese eine Art von Free Jazz oder jene Spielart von Soul als hörenswürdig empfand. Aber am Ende des Tages bin ich leider einfach ein musikalisch gequälter Polyamorist, welcher alle Arten von Musik innigst liebt und eben auch miterfinden muss. Ich finde Befriedigung genauso beim Komponieren von Streicher- oder Bläser-Arrangements, Protestsongs, Punk-Chansons, Filmmusik, elektronischer Musik, experimentellen Geräuschfrickeleien oder Countrymusik für Gehörlose. Ich mag es, dass es zwischen dem Komponisten und dem Zuhörer diese endlose Fülle an kombinatorischen Möglichkeiten auszuschöpfen gibt.
Links
Bonaparte, offizielle Website
Mule & Man, offizielle Facebook-Fanseite
Label Suisse, Website des Festivals
Schweizer Musikpreis, Informationsseite des Bundesamtes für Kultur