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«Man kennt das Lied irgendwie, aber es kommt in einem ganz anderen Kleid daher»
Alfred Schweizer im Gespräch über seine Komposition «Beethoven und ein Schweizer Lied» im März 2020.
Foto: Manu Leuenberger
Text von Gastautor Markus Ganz; Video von Mike Korner
Alfred Schweizer erzählt, wie er an seiner Komposition für das Projekt «Schweizer Beethoven-Reflexionen» gearbeitet hat. Er habe sowohl bei Beethovens Variationen wie auch beim Grenchnerlied charakteristischen Elemente analysiert, aneinandergefügt und weitergesponnen.

«Ich hatte sofort eine Idee», erklärt Alfred Schweizer auf die Frage, wie er nach der Anfrage für die «Schweizer Beethoven-Reflexionen» zu einem kompositorischen Ansatz kam. «Zu den ersten Werken von Beethoven gehörten Klaviertrios für Klavier, Klarinette und Cello.» Und als Kaspar Zehnder, der Initiant des Projekts und Flötist, gefragt habe, ob er noch eine Flöte dazu wolle, habe er geantwortet: «Ja, noch so gern!»

Für den Komponisten aus Twann war auch bald klar, dass er mit seinem Stück an die Beethoven-Variationen anknüpfen will. Er habe sich dieses Werk angehört und eine klassische Form der Melodie festgestellt, die er nun jedoch in C-Dur und nicht in F-Dur verwende. «Es ist eine kleine dreiteilige Liedform, die sehr typisch ist für Beethoven, auch für Mozart, für die damalige Zeit.» Dann hat er auch noch die Volkslieder-Sammlung «Im Röseligarte» von Otto von Greyerz konsultiert, in der das originale Lied jedoch «Das alte Grenchnerlied» heisst. «Dieses tönt leicht anders, nicht nur rhythmisch: Vermutlich ist dies die ursprüngliche Melodie, denn sie hat nicht die klare, kalibrierte klassische Form, sondern eher eine fortspinnende, erzählende Form.»

Dazu passend hat sich Alfred Schweizer auch vom Liedtext inspirieren lassen, in dem Dursli um die Hand von Babeli anhält, von deren Eltern aber abgewiesen wird. «Mir hat am Schluss gefallen, dass Dursli seinem Babeli vom Kriegsdienst in Flandern schreiben will: ‹U wenn der Himmel papierig wär, u jede Stern e Schriber wär, u jeder Schriber hätt siebe, siebe Händ, sie schribe doch miner Liebi kes End›.» Angesichts dieses schönen Schlusses habe er sich dazu entschlossen, sich in seiner Komposition zuerst auf Beethovens Variationen und dann auf die originale Liedversion zu beziehen: «zu Beginn recht rasant, danach eher lyrisch und schliesslich stimmungsvoll ausklingen lassen, im Sinne von ‹Der Liebe kein End›».

Nach eigener Aussage konnte Alfred Schweizer nicht anders, als auch noch Beethoven im allgemeineren Sinn in seine Komposition einzubringen, wenn auch nur in ganz kurzen Ausschnitten. «Für mich ist Beethoven einfach der c-Moll-Akkord! Aber auch strahlendes Es-Dur.» Entscheidend ist die Art der Integration solcher Bezüge. «Man soll es (beim Hören) merken, aber immer erst, wenn es schon vorbei ist.» Dies gilt auch für die anderen Bezüge. «Ich schaue sowohl bei Beethovens Variationen wie auch beim Grenchnerlied, was die charakteristischen Elemente sind. Dann füge ich diese aneinander und spinne sie weiter. Ich schaue zudem, ob ich diese melodischen Elemente harmonisch verwenden kann.»

Alfred Schweizer hat bis zu diesem Zeitpunkt vor allem auf melodischer Ebene gearbeitet. Derart, dass er plötzlich gemerkt habe, dass er wieder ins kontrapunktische Schaffen geraten sei. Das töne fast schon wie in einer Fuge, fügt er lachend an. «Ich setze auch das Klavier sehr häufig melodisch ein, damit diese Melodien ineinandergreifen. Und wenn ich wieder mal einen harmonischen Schwerpunkt oder Akzent setzen will, dann gibt es einen Akkord.» Beim Piano sei die Gefahr aber gross, dass daraus eine Oom-Pah-Pah-Begleitung entstehe.

Zur Zeit des Gesprächs Anfang März 2020 hat Alfred Schweizer etwa zwei Drittel seines voraussichtlich sechs- bis siebenminütigen Stückes komponiert. Er komme nun zur Stelle, von der an er es ruhig ausklingen lassen möchte. «Ich muss nun aufpassen, dass es nicht zu leiern beginnt. Aber ich bin mir solcher Gefahren bewusst. Und ich arbeite hart daran, dass es eine Klangatmosphäre gibt, bei der man sagt ‹man kennt das Lied irgendwie, aber es kommt doch in einem ganz anderen Kleid daher›. Das ist eigentlich mein Ziel.»

Alfred Schweizer geht beim Komponieren chronologisch vor. Dies bedeute aber nicht, dass er etwa eine zunehmende Verschiebung zum Legato hin vorgesehen habe. «Was die Artikulationsgestaltung betrifft, da sage ich in vielen meiner Stücke nichts dazu. Johann Sebastian Bach komponierte grossartige Musik, schrieb aber nicht, man müsse hier binden, da leise, dort laut spielen!» Alfred Schweizer ist davon überzeugt, dass die interpretierenden Musiker «gescheit genug sind» zu wissen, wie sie etwas spielen müssen.

In der Umsetzung könnten die Musiker das hineinbringen, was ihre Qualitäten ausmacht. Dies setzt laut Alfred Schweizer jedoch voraus, dass die Musiker das Werk einige Mal proben und so ins Stück hineinwachsen können, wie dies beim Projekt der «Schweizer Beethoven-Reflexionen» der Fall ist. Trotzdem bleibe eine gewisse Spannung, wie es dann bei der Uraufführung tönt. Das hat auch damit zu tun, dass er beim Komponieren einige Instrumente von einem Synthesizer ertönen lässt, um das Zusammenspiel der Klangfarben zu überprüfen. Er arbeite eben stark mit den Klangfarben der Instrumente und wolle, dass sie sich in ihrer optimalen Klangwirkung zeigen könnten. Umso mehr freue er sich darauf, das Stück dann von Menschen und mit richtigen Instrumenten gespielt zu hören.

Alfred Schweizer wurde 1941 in Sevelen SG geboren. Er studierte Musik- und Sprachwissenschaft an der Universität Bern und liess sich am Konservatorium Bern sowie an der Musikakademie Basel ausbilden. Er wirkte in mehreren Improvisationsgruppen und am Schweizerischen Zentrum für Computermusik. Von 1970-2003 war er Dozent für Musiktheorie und Komposition am Konservatorium und an der Hochschule für Musik und Theater in Biel. www.classic2000.ch

Schweizer Beethoven-Reflexionen: Ein Projekt von Murten Classics und der SUISA zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven

 

Ludwig van Beethoven hatte nur wenig mit der Schweiz zu tun. Aber er hat «Sechs Variationen über ein Schweizerlied» geschrieben, bei dem es sich um das Volkslied «Es hätt e Bur es Töchterli» handelt. Dies ist der Ausgangspunkt für Kompositionsaufträge, die die Sommerfestspiele Murten Classics zusammen mit der SUISA an acht Schweizer Komponistinnen und Komponisten verschiedener Generationen, Ästhetik und Herkunft vergeben haben.

Oscar Bianchi, Xavier Dayer, Fortunat Frölich, Aglaja Graf, Christian Henking, Alfred Schweizer, Marina Sobyanina und Katharina Weber konnten sich auf die Variationen, auf das von Beethoven verwendete Volkslied selbst oder auf Beethoven im Allgemeinen beziehen. Die Kompositionen wurden für das Ensemble Paul Klee geschrieben, das folgende Maximalbesetzung erlaubt: Flöte (auch Piccolo, G- oder Bassflöte), Klarinette (in B oder A), Violine, Viola, Cello, Kontrabass und Klavier.

Initiant dieses 2019 begonnenen Projekts war Kaspar Zehnder, der während 22 Jahren künstlerischer Leiter von Murten Classics gewesen war. Wegen der Corona-Krise und den von den Behörden verordneten Massnahmen war die Durchführung sowohl der 32. Ausgabe im August 2020 als auch des vorgesehenen Ersatzfestivals in den anschliessenden Wintermonaten nicht möglich. Der «SUISA-Tag» mit den acht Kompositionen dieses Projekts wurde – ohne Publikum – am 28. Januar 2021 im KiB Murten dennoch aufgeführt und aufgezeichnet. Die Aufnahmen waren bei Radio SRF 2 Kultur in der Sendung «Neue Musik im Konzert» zu hören und sind auf der Plattform Neo.mx3 erschienen. Im SUISAblog und auf den Social Media-Kanälen der SUISA ist das Projekt mit multimedialen Beiträgen online dokumentiert.

www.murtenclassics.ch

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