Bernhard Wittweiler, was gab den Anstoss, dass Du vor fast 30 Jahren die Stelle bei der SUISA übernommen hast?
Bernhard Wittweiler: Irgendwann im Frühjahr 1994 sagte mir Andreas Wegelin, dass die Stelle des Rechtsdienst-Leiters vakant geworden sei, und er fragte mich, ob ich allenfalls Interesse an der Stelle hätte. Da ich zu jenem Zeitpunkt das Anwaltsbüro, in dem ich arbeitete, verlassen wollte, kam seine Anfrage gerade zur richtigen Zeit. Ich sah darin eine grosse Chance, bewarb mich und erhielt die Stelle.
Wie hat sich seit 1994 die SUISA und die Arbeit im Rechtsdienst verändert?
Da gäbe es viel zu erzählen. An erster Stelle ist sicher das Aufkommen des Internets zu erwähnen, das Produktion und Verbreitung von Musik fundamental verändert hat. Es stellten sich viele neue Rechtsfragen. Am Anfang, in den 90er- und Nuller-Jahren, war vieles unklar und umstritten, und es ging wie im Wilden Westen zu und her. Dann hat natürlich generell die Entwicklung der Informatik die Arbeitsweise der SUISA und auch des Rechtsdienstes stark geprägt und verändert. Die Durchsetzung der Urheberrechte ist mit der Zeit immer schwieriger und aufwendiger geworden. Immer mehr Leute sehen nicht mehr ein, warum sie für die Nutzung kreativer Leistungen bezahlen sollen. Der Erklärungsbedarf ist laufend gewachsen. Der Rechtsdienst hat sich auch vergrössert und sich mit immer mehr Rechtsgebieten befasst. Wir entwickelten uns im Laufe der Zeit zu einer umfassenden Dienstleistungsstelle in juristischen Belangen für das ganze Unternehmen SUISA.
Was sind die häufigsten Fragen, die man im Rechtsdienst der SUISA gestellt bekommt?
Der Dauerbrenner ist natürlich: Wie schütze ich meine Kompositionen und wie verhindere ich, dass sie von anderen «geklaut» oder sonstwie missbraucht werden. Dann sind da die konkreten Fälle, in denen wir angefragt werden, ob ein Plagiat oder die Übernahme zumindest von Song-Teilen vorliegt. Viele Fragen kommen auch im Zusammenhang mit der Verwendung von Musik in Filmen und Videos und mit dem Online-Vertrieb von Musik.
Du hast für die SUISA auch Streitfälle vor Gericht ausgefochten. An welche kannst Du Dich besonders gut erinnern und weshalb?
Das sind die Fälle, bei denen es um besonders viel ging: Ende der 90er Jahre gegen die Joe’s Videotheken-Kette, die das Vermietrecht und damit den damaligen GT 5 in Frage stellte. Später war die Anwendung des Konzerttarifs GT K und dabei die Ballett-Regel immer wieder umstritten, und zwar in den Prozessen gegen die Vorfastnachtsrevue «Mimösli» in Basel und gegen das Basel Tattoo. Riesige Ausmasse hatten die Verfahren im Zusammenhang mit dem Kollaps des Konzertveranstalters Free & Virgin.
Gab es auch Rechtsfälle, die «amüsant» sind, oder sagen wir: anekdotischen Charakter haben, von denen Du berichten kannst und darfst?
In einem Strafverfahren wurde ein Konzertveranstalter auf Antrag der SUISA zu einer Strafe verurteilt. Beim Hinausgehen aus dem Gerichtssaal fragte der Verurteilte mich, ob ich mit ihm ein Bier trinken komme.
Während deiner Tätigkeit für die SUISA hast Du mehrere Revisionen des Schweizer Urheberrechtsgesetzes miterlebt. Inwiefern hattest Du und die SUISA Anteil an den Revisionsprozessen und was denkst du über die Entwicklung des Urheberrechts?
Wir haben die Revisionsprozesse jeweils eng begleitet. Es ging darum, die Vorschläge des Bundesrates und des Parlaments zu beurteilen, allenfalls Gegenvorschläge zu entwickeln und Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess zu nehmen – eigentliche Lobby-Arbeit also. Dabei habe ich auch als Vertreter der SUISA im Vorstand von Suisseculture, der Dachorganisation der Verbände der professionellen Kulturschaffenden, mitgewirkt. Es war immer sehr schwer, gegen die interessierten Kreise, leider einschliesslich der Wissenschaft, die den Urheberrechtsschutz zugunsten des «freien Internets» schwächen wollten, anzukommen, vielmehr den Schutz zugunsten der Kreativen angemessen auszubauen und dem Internetzeitalter anzupassen. Herausgekommen sind nicht selten typisch schweizerische, «verknorzte» Kompromisse oder komplizierte Sonderlösungen. Immerhin ist es uns gelungen, jeweils das Schlimmste zu verhindern.
Mit künstlicher Intelligenz, NFT oder Direktlizenzierungen stehen dem Urheberrecht und den Verwertungsgesellschaften weitere Herausforderungen bevor. Wird es die SUISA in 100 Jahren noch geben und wie kann sie sich in diesem von Veränderungen geprägten Umfeld behaupten?
Die künstliche Intelligenz dürfte zu einem eigentlichen Paradigmenwechsel für das Urheberrecht und die Verwertungsgesellschaften führen. Wie das herauskommen wird, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen. Wenn es der SUISA gelingt, auch in Zukunft die ihr anvertrauten Rechte wirkungsvoll, effizient und einfach wahrzunehmen, also den Rechtsinhabern, ihren Mitgliedern, einen echten Mehrwert zu bieten, wird es sie auch in 100 Jahren noch geben.
Was sind nun Deine Zukunftspläne?
Zum einen setze ich mein Wissen und meine Erfahrungen auf juristischem Gebiet als Konsulent in einem auf geistiges Eigentum spezialisierten Anwaltsbüro ein. Zum anderen möchte ich mich meinen kulturellen Interessen – Musik, bildende Kunst, Architektur, Film – widmen, mich in der Natur bewegen und meine sozialen Beziehungen pflegen und ausbauen.
Was möchtest Du Deinerseits noch über Deine Zeit bei der SUISA sagen?
Ich hatte im Rechtsdienst (fast) immer ein tolles Team, mit dem zusammenzuarbeiten Freude bereitete. Das Arbeitsklima war von Vertrauen, Sachlichkeit, Unterstützung und Anerkennung geprägt. So kann ich auf ein interessantes, spannendes und erfülltes Arbeitsleben bei der SUISA zurückblicken. Was will man mehr?
Neuer Leiter Rechtsdienst
Die Nachfolge von Bernhard Wittweiler als Leiter des Rechtsdienstes der SUISA hat per 1. Januar 2023 RA Dr. iur. Oliver Schmid angetreten. Oliver Schmid, geboren 1986, hat das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich mit summe cum laude abgeschlossen. Während des Studiums absolvierte er Praktika in diversen Anwaltskanzleien. Nach Abschluss des Studiums war er wissenschaftlicher Assistent mit Fokus auf Urheberrecht am Lehrstuhl für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht. Er war Redaktor bei der «sic! Zeitschrift für Immaterialgüter-, Informations- und Wettbewerbsrecht» und bei der arbeitsrechtlichen Zeitschrift ARV sowie Autor diverser wissenschaftlicher Publikationen. Nach dem Erwerb des Anwaltspatents 2019 sammelte er praktische Erfahrungen als selbstständiger Rechtsanwalt. In der Folge war er Co-Leiter verschiedener Innosuisse-Drittmittelprojekte. Seit 2021 ist er Doktor der Rechtswissenschaften und ist nun als Lehrbeauftragter an der Universität Zürich für die Lehrveranstaltung Lizenzvertrags- und Lizenzkartellrecht verantwortlich. 2022 trat Oliver Schmid als Mitarbeiter in den SUISA-Rechtsdienst ein, dessen Leitung er per 2023 übernahm.