Indische Musik gilt vielen westlichen Menschen als schwer zugänglich. Deutlich anders dürfte dies bei den Stücken von Manish Vyas sein, obwohl auch diese tief in den vielen Traditionen Indiens verwurzelt sind. Der indische Komponist, Multiinstrumentalist und Sänger schafft meditative Musikstücke, die in stiller Schönheit und Reduziertheit erstaunlich eingängig und zeitgemäss wirken, vor allem die Melodien und Sounds, aber auch die Rhythmen, zuweilen wird die Musik sogar von sanften elektronischen Beats getragen. Wer steht hinter dieser Musik?
Manish Vyas wurde im nordwestlichen indischen Bundesstaat Gujarat geboren und wuchs in einer 16-köpfigen Grossfamilie auf, in der Musik eine grosse Rolle spielte. «Da es auch in unserem Umfeld mehrere Musiker gab, wurde bei uns immer wieder musiziert, es herrschte eine sehr inspirierende Atmosphäre.» Im Alter von neun Jahren begann Manish Vyas in einer Musikschule das Spiel der Tabla zu erlernen. «Tabla ist ein grossartiges Rhythmusinstrument. Aber in mir kam bald der Wunsch auf, in die Welt der Melodie einzutauchen, in die reiche Welt der Ragas, und ich wollte meine Gefühle durch die Melodie ausdrücken. So bin ich dann zum Harmonium übergegangen und habe ein bisschen gesungen, zur gleichen Zeit begann ich auch mit der Santur, die dem hier bekannten Hackbrett ähnelt.»
Vom Ashram in die Welt hinaus
Aber erst im Alter von 20, nach einem «normalen» Studium, wurde Manish Vyas klar, dass «Musik mein Leben ist, dass ich mich voll darauf konzentrieren wollte.» Ab dann galt nur noch eines: lernen und üben. «Ich hatte aber das Glück, das ganze Lernen in einer Atmosphäre zu erleben, die von vielen Musikern geprägt war.» Er hatte Kontakt zu einem spirituellen Meister namens Osho, der Menschen aus aller Welt anzog, in seinem Ashram (eine Art von Lern- und Meditationszentrum) zu leben. Darunter waren viele Musiker, da Osho der Musik auf dem spirituellen Weg eine grosse Bedeutung zumass. «Ich hatte dadurch die Möglichkeit, all das Gelernte mit diesen Musikern aus der ganzen Welt anzuwenden. Es gab praktisch täglich experimentelle Sessions mit Musikern aus Ländern wie Brasilien, Deutschland und Frankreich, und wir spielten nicht nur indische Musik, sondern auch klassische Musik, Andachtsmusik, Fusion und Volksmusik.»
So ergaben sich viele Kontakte. Und bevor sich Manish Vyas versah, begann er im Alter von 22 Jahren auch ausserhalb Indiens herumzureisen. «Musiker, die ich im Ashram kennengelernt hatte, luden mich ein, auf ihren Aufnahmen zu spielen und dann mit ihnen auf Tournee zu gehen.» Trotzdem startete er im Jahr 2001 eine Solokarriere, bei der die von ihm komponierte Musik im Mittelpunkt steht. Seither hat er 23 eigene Alben veröffentlicht, die nach dem CD-Zeitalter auf den Musikplattformen auf erstaunlich grosse Resonanz stossen. «Das Internet hat wesentlich dazu beigetragen, dass ich meine Zuhörerschaft vergrössern konnte.» Das kann er nun auch gut von der Schweiz aus, wohin ihn die Liebe vor fünf Jahren brachte. Er ist zudem mit Kursen, Workshops und Retreats auch als Lehrer äusserst aktiv, sei es im Bereich der Musik (instrumental und Mantra-Singen) oder der Meditation.
Brücke zwischen Ost und West
Manish Vyas ist bescheiden, was seine Leistung angeht. «Ich habe mir zwar ein bisschen meinen eigenen Platz in dieser Branche schaffen können. Aber dies ist irgendwie einfach passiert, ich habe nicht die Musik dafür kreiert.» Entscheidend am Erfolg ist sicherlich, dass die Musik auch Menschen ausserhalb des indischen Kulturraums erreicht, obwohl sie nach wie vor tief in der indischen Tradition verwurzelt ist. «Ich denke, dass die Leute im Westen meine Musik als zugänglich und doch authentisch empfinden.» Das dürfte sich auch Paul McCartney gedacht haben, als er Manish Vyas für einen Auftritt an seiner Hochzeit engagierte.
Der heute 51-jährige Musiker betont, dass es nicht seine Absicht war, eine Brücke zu einem neuen, westlichen Publikum zu schlagen. «Ich habe einfach gemacht, was ich als gut und schön betrachtete. Das Einzige, was mir immer klar war, ist, dass ich die Musik nicht benutzen will, um die Leute zu beeindrucken. Ihr Zweck soll nicht nur der Unterhaltung dienen – und das habe ich nicht von meinen musikalischen Meistern gelernt, sondern von meinen spirituellen Meistern.» Diese hätten ihm gezeigt, dass indische Musik ihre Wurzeln in der alten Tradition der Spiritualität habe. Entsprechend fragt sich, ob westliche Zuhörerinnen und Zuhörer den spirituellen oder gar religiösen Hintergrund dieser Musik kennen müssen, um sie schätzen zu können. «Nein, denn es keine religiöse, sondern spirituelle Musik. Und meine Absicht ist ganz klar, dass ich eine Musik erschaffen möchte, die schlicht den Zustand des Seins erhöht.»
Verbindung mit der Seele Indiens
Was ist denn nun anders an der indischen Musik von Manish Vyas? «Weil ich nicht den Anspruch habe, reine klassische indische Musik zu machen, habe ich mehr Freiheiten. Ich verwende Grundlagen von Ragas, aber das Konzept ist in erster Linie, Musik zur Entspannung und Meditation zu machen. Ich brach deshalb mit dem normalen indischen Aufführungsstils und machte die Musik stiller und entspannter. Das Raga-Element bleibt lebendig, aber in einer anderen Form.»
Bei allen künstlerischen Freiheiten, die sich Manish Vyas nimmt, ist ihm eines wichtig. «Ich bemühe mich stets, die Reinheit der Musik zu bewahren, etwas, was wir als die Heiligkeit des Liedes bezeichnen. Auch wenn ich zuweilen moderne Elemente wie Trance-Musik verwende, habe ich nie zugelassen, dass sie die indische Seele in der Musik übertönt, dass man nur noch ‹n’tsch-n’tsch-n’tsch-n’tsch› hört – und ganz weit weg eine Sitar. Ich benutze moderne Elemente nur als Unterstützung, um dem Stück mehr Energie zu verleihen.» Manish Vyas erwähnt auch, dass er seine westlichen Musikschüler nicht gleich mit der reinen klassischen indischen Musik konfrontiere. «Wir gehen zuerst durch eine musikalisch etwas einfachere Tür, so dass sie sich langsam mit der Seele Indiens verbinden können. Und wenn sie bereit sind, dann sage ich ihnen, okay, jetzt hast du angefangen, richtig zu hören.»
Improvisation als Grundlage
Manish Vyas unterscheidet klar zwei Arten von Eigenkompositionen: Instrumentalstücke und Stücke mit Texten. «Wenn ich mit Wörtern arbeite, wähle ich normalerweise ein Gedicht aus und komponiere dann eine Musik dazu, die der von den Worten geschaffenen Stimmung gerecht werden muss.» Die Melodien für die Stücke entstehen meist, wenn Manish Vyas zuhause am Harmonium oder am Keyboard improvisiert. «Die Grundlage der indischen Musik ist Improvisation, deshalb sind bei indischen Konzerten auch nie Notenblätter zu sehen. Wir erhalten beim Erlernen zwar viel musikalisches Material, das festgelegt ist. Aber das intensive Üben mit diesem Material bringt den Schüler langsam an den Punkt, an dem er zu improvisieren beginnt.» Manish Vyas improvisiert gerne auch mit indischen Freunden. Da diese aber grösstenteils in Indien leben, entstehen seine Stücke meist im Austausch von Aufnahmen übers Internet. Deshalb hat er zuhause ein kleines Studio eingerichtet und übernimmt auch bei der Produktion immer mehr Aufgaben.
Eines möchte Manish Vyas am Ende des Interviews noch gesagt haben. «Ich habe eigentlich aus praktischen Gründen zur SUISA gewechselt. Aber nun finde ich es toll, Mitglied von ihr zu sein. Denn man unterstützt mich bei Fragen, und alles läuft sehr glatt ab. Wegen der Qualität und Zuverlässigkeit der SUISA habe ich einige indische Musikerfreunde ermutigt, ebenfalls Mitglied zu werden, was zwei, drei bereits getan haben – und sich nachher bei mir bedankt haben. Denn auch Komponisten sollen bekommen, was sie verdient haben.»
www.manishvyas.ch offizielle Website von Manish Vyas
I loved this article! I follow Manish’s work since years and I am happy when I see material from him. Also is nice to hear about world artists who live in Switzerland. Well done!