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Erinnerung an einen aussergewöhnlichen Menschen und begnadeten Musiker

Erinnerung an einen aussergewöhnlichen Menschen und begnadeten Musiker
Willy Bischof im Studio Mulinetti in Genua anlässlich der CD-Produktion zu «A Pianist In Paris» im September 2004.
Foto: Pietro Schaller
Nachruf von Gastautor Pietro Schaller
Der Pianist Willy Bischof war eine feste Grösse in der Schweizer Jazzszene und prägte als Musikredaktor und Programmleiter die Programme von Radio DRS. Im Dezember 2019 ist das langjährige SUISA-Mitglied im Alter von 74 Jahren gestorben.

Lieber, caro Willy

1968 sah und hörte und dich zum ersten Mal – als Pianist eines Quintetts in einem Tanzlokal. Als Gitarrist und Posaunist musizierte ich ebenfalls in einer Dancingband. Den Entschluss «auszusteigen» fällte ich Mitte Mai 1978. Auslöser war ein Kontakt zu Radio Bern, welches Juli 1974 eine Live-Aufnahme unserer Band im Kursaal Bern produzierte – Georges Pilloud war der Initiator.

Ende Mai 1978 kontaktierte ich dich im Radio Studio Bern: «Benötigt ihr einen Archivmitarbeiter?» «Nein! Ein Produzent wird dringend benötigt, komm nach Bern, Details werden später besprochen.» Das erste Treffen mit dir fand im Hörspiel-Studio statt. Du am Steinway Concert Grand. «Kennst du Cantaloupe Island?» fragte ich, du spieltest es sofort. Möglicherweise war dies der Auftakt zu unserer langjährigen Beziehung.

Montag, 3. Juli 1978, war mein erster Arbeitstag im Radiostudio Bern. Kein Willy war da, ich war auf mich allein gestellt, denn dein Arbeitsplatz war am Jazzfestival Montreux – zusammen mit Ruedi Kaspar. Mehrere Jahre wart ihr das «Radio Dreamteam» in Montreux – unvergessen sind eure mehrsprachigen Interviews mit Weltklasse-Musikern. Dass du Jahre zuvor einen brillanten Coup gelandet hast, indem du die Senderechte für alle Liveübertagungen auf Radio DRS2 erwarbst, war mir damals nicht bekannt.

Die folgenden 2 Monate waren ein Crashkurs «So funktioniert Radio DRS»: Abteilungsstrukturen, Lesen und Interpretieren von Sitzungsprotokollen, sowie Redeweise und Befindlichkeiten von Medienschaffenden. Bei Überschreitung der «ordentlichen» Arbeitszeit wurden diese Nachhilfestunden in den Garten einer nahegelegenen Wirtschaft verlegt.

Den Programmbereich Unterhaltungsmusik DRS1 zu leiten war dein Plan. Zusammen mit Ruedi Kaspar erfandst du «5 nach 4», die erste Radiosendung mit Pop-und Rockmusik. Polo Hofer war eine Entdeckung von euch beiden, die Präsenz in dieser Sendung war der Grundstein zu Polos Karriere und des Mundart-Rock.

Deine Vorgaben für ein ausgewogenes Musikprogramm DRS1 waren für mich mit Leichtigkeit einzuhalten. Wie du hatte ich keine Berührungsängste mit jeglicher Art von Musik: Es musste nach unserer Auffassung gut musiziert werden und gut klingen. Schallplatten fast jeglichen Genres waren zahlreich vorhanden, alle MusikredaktorInnen unterhielten umfangreiche eigene Archive. Mir war zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, dass du mittels vorzüglicher Beziehungen zur Schallplattenindustrie schätzungsweise 5 Jahre zuvor eine unentgeltliche Bemusterung ins Leben riefst – eine klassische win-win Situation. Ohne dieses Husarenstück wären deine Vorstellungen von einem erfolgreichen DRS1 RadioMusikprogramm gescheitert – schlicht und ergreifend, weil das erwünschte Musikrepertoire nicht vorhanden war.

Die Berufung zum «Chef Unterhaltungsmusik Radio DRS1» erfolgte 1978. Im folgenden Jahr war dein neuer Arbeitsort das Studio Zürich, Ruedi Kaspar «dislozierte» ins Studio Basel. Dass dies der Auftakt zu DRS3 war mir unbekannt. Allerdings wurde Radio-intern vermutet, dass ein 3. Radioprogramm in der Projektierungsphase sein könnte. Im Herbst 1982 folgte ich deinem Ruf zum Wechsel ins Studio Zürich, um den «Zürcher»-Anteil der Musikredaktion aufzubauen. Mit dem Erfolg von Radio 24 (Sendestart 28.11.1979) erhöhte Radio DRS das Realisierungstempo.

Am 1. November 1983 betätigte SRG -Generaldirektor Leo Schürmann symbolisch den Startknopf: DRS3 sendete zu ersten Mal.

Die anschliessenden 5 Jahre waren die erfolgreichsten von DRS3, trotz teilweise gewichtiger Meinungsverschiedenheiten der drei Redaktionen in Basel, Bern und Zürich. Du als «Ressortleiter Musik» bewältigtest diese Schwierigkeiten mit grossem Sachverstand, mit Behutsamkeit und sanftem Druck.

1988 erfolgte der Weggang von DRS3 in Richtung DRS2. Möglicherweise hinterliessen immer wieder aufkeimende Grundsatzdiskussionen zum Thema «Musik» sowie überbordende Sitzungen und Bürokratie ihre Spuren. Mag auch sein, dass deine Liebe zu Jazz und Musizieren als Kadermitglied bei DRS3 zu kurz kam. Die Übernahme des Ressort «Jazz» war der Auftakt zur Etablierung der «CHJazzszene», welche mit Studiosessions für den Nachwuchs und weniger bekannten Formationen eine wertvolle Plattform wurden. Für Radio DRS2 ein wichtiges Unterfangen, das den Sender auch als Kulturförderungsinstitution etablierte.

1991 war das Geburtsjahr des «Apéro» die von dir konzipierte Radiosendung auf DRS2. Anlässlich einer jährlich stattfindenden Studioparty im Studio 2 in Zürich spieltest du am Konzertflügel ein Duke Ellington-Medley, bei dem allen Anwesenden – Radiodirektor Andreas Blum war auch dabei – bewusst wurde, dass du ein brillanter Pianist bist.

Schon seit jeher war ich ein grosser Hazy Osterwald-Fan. Meine Idee war, das Jazz-Repertoire des Osterwald-Sextets mit einer identischen Formation bestehend aus dir und ehemaligen DRS-Band Musikern neu zu produzieren. Gemeinsam entdeckten wir im Zürcher Radioarchiv mehr als 70 Aufnahmen von Hazys bester Formation aus den Jahren 1951-1964. Jazz von allerhöchstem Niveau in hervorragender Aufnahmequalität, produziert von Radio Beromünster im Studio in Basel mit Eddie Brunner als Tonmeister – ehemals Mitglied und später Bandleader der famosen Teddy Stauffer Band. Mit deiner Hilfe gelang 1994 ein bedeutsames Dokument des Schweizer Jazzʼ aus den Jahren 1951-1964, die CD-Box «50 Years of Music with a Touch of Swing» wurde ein grosser Erfolg.

Unser Vorhaben, eine Produktion mit den nachproduzierten «Hazy Osterwald Jazz Hits» zu realisieren wurde nach reiflicher Überlegung nicht verwirklicht: Sound, Charme, Groove dieser Epoche waren zu einmalig und konnten nicht reproduziert werden … Ein kluger Entscheid und ein Hinweis auf die grossartige Aufnahmetechnik von Radio Beromünster und dem Producing von Eddie.

Im November des gleichen Jahres fanden im «Bierhübeli» die «Berner Song-Tage» statt. Deine 1993 gegründete Formation, das Willy Bischof Jazztet mit Hazy Osterwald, Willy Schmid, Peter Schmidlin und Stefan Kurmann wurde als Ehrengast eingeladen. Radio DRS1 zeichnete das Konzert auf. Die anschliessende CD «Swiss Air» ist heute noch erhältlich.

1998 wurde dir für die Radiosendung «Apéro» der längst fällige «Prix Walo» überreicht.

Willy Bischof beim Warm-up im Studio. (Foto: Pietro Schaller)

2004 reifte bei mir die Idee, eine Aufnahme mit dir als Solopianist zu produzieren. Vorgesehen war das Studio Mulinetti in Genua. Zur Diskussion standen Versionen von italienischen Klassikern wie beispielsweise Roma Nun Faʼ Stupido Stasera oder Estaté. Keine Überzeugungsarbeit benötigte es meinerseits – du warst sofort begeistert von dem Vorhaben. Das Repertoire stellten wir gemeinsam zusammen. Victor Eugster von «Activ Records» finanzierte das Projekt. Produktionstermin war Ende September 2004. Jedoch kurz vor dem Aufnahmetermin wechseltest du die Meinung: «Ich möchte lieber französische Chansons in meinen eigenen Versionen aufnehmen – ein CD Titel ist schon vorhanden – ‹A Pianist In Paris›» … Passende Chansons waren schnell evaluiert. Ich reiste nach Camogli – 30 km östlich von Genua – damals meine zweite Heimat um die Produktion vorzubereiten.

Die Session war erfolgreich – alle Beteiligten verstanden sich ausgezeichnet, und du spieltest wie immer hervorragend. Mir bleibt die Erinnerung, dass dies eventuell einer deiner glücklisten musikalischen Momente war.

Deine Pensionierung 2005 ermutigte mich, ein Jahr später ebenfalls in den Ruhestand zu gehen. In den folgenden Jahren wurden unsere Treffen seltener – auf Umwegen erfuhr ich, dass deine Gesundheit instabil geworden sei. Letzter persönlicher Kontakt war anlässlich eines von mir organisierten Konzerts mit deinem Trio am 21. Januar 2011 im Hotel Palace Luzern.

Zurück bleibt die Erinnerung an einen aussergewöhnlichen Menschen und begnadeten Musiker. Als
Vorgesetzter erschienst du mir nicht, ein Freund warst Du.

Addio Willy

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