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«Die Klarinette soll als Individuum wirken, das kämpft und den Weg sucht»
Katharina Weber im Gespräch über ihr Werk «Badurbelisli», das sich zum Zeitpunkt des Interviews im Februar 2020 noch in Entstehung befand.
Foto: Manu Leuenberger
Text von Gastautor Markus Ganz; Video von Mike Korner
Katharina Weber bezieht sich in ihrer Kompositionsarbeit für das Projekt «Schweizer Beethoven-Reflexionen» nicht nur auf Beethovens Variationen über ein Schweizer Lied und dessen Text. Sie lässt auch die Klangwelt von John Cage einfliessen.

Ludwig van Beethoven und seine «Variationen über ein Schweizerlied» haben eine spezielle Bedeutung für Katharina Weber. «Diese Variationen gehören zu den ersten Stücken eines grossen Komponisten, die ich als Kind spielen durfte.» Die Berner Pianistin und Komponistin erklärt im Gespräch von Anfang Februar 2020 auch, dass Musik im Leben der Familie stets wichtig gewesen sei, da die Grossmutter als Geigerin wirkte und der Grossvater fast Pianist geworden war.

Katharina Weber findet Beethovens Variationen noch heute spannend, weil jede auf ihre Weise sehr charakteristisch sei. «Und ich habe mich gefragt, ob Beethoven sich auch auf den Text bezogen hat, etwa mit den mal marschartigen, dann wieder ganz weichen, lyrischen Teilen.» Die Geschichte des Originalliedes stand denn auch am Anfang der Überlegungen, wie sie den Kompositionsauftrag umsetzen könnte. Der Text handelt vom Dursli, der Babeli zur Frau haben will, von deren Eltern aber abgewiesen wird, weil Babeli noch zu klein sei, und deshalb in fremde Kriegsdienste nach Flandern geht.

Diese Geschichte hat Katharina Weber sogleich berührt, weshalb der Gedanke nahelag, darauf Bezug zu nehmen. «Es ist eine tragische Liebesgeschichte, gerade wenn man bedenkt, dass auch heute noch viele Leute ihre Heimat verlassen müssen.» Sie versteht die Geschichte persönlich auch als Metapher für die Liebe als Ideal: «Er verspricht, dass er sein Leben lang an ihr festhalten werde». Es gehe letztlich um die Polarität zwischen realistischen Zwängen und idealistischen Wünschen.

In den Weihnachtsferien 2019 entwarf Katharina Weber nicht nur das Grundkonzept des Stücks und begann improvisierend, Töne zu notieren. «Ich habe damals beschlossen, die Klarinette als Individuum gegenüber den Streichern einzusetzen, die gewissermassen als Familie von Babeli oder auch als die Gesellschaft wirken. Der Klavier-Teil wird sich auf die Variationen von Beethoven beziehen, jedoch nicht harmonisch, sondern mehr mit den rhythmischen Varianten, so dass man den Bezug zu Beethoven erkennen kann.» Es soll aber «eine ganz andere Klangwelt» vorherrschen, und damit kommen wir zu John Cage.

Katharina Weber erzählt, dass einst der Komponist Urs Peter Schneider im Unterricht viel von Cage geredet habe. «Er sagte mir, dass Cage Beethoven und dessen Streben nach Höherem und die Suche nach fernem Geliebtem gar nicht mochte, dass Mozart viel mehr im Leben gestanden habe. Er stellte eine Polarität zwischen Beethoven und Mozart her, die mich damals sehr beschäftigt hat.» Von Cage stammten zudem die ersten modernen Stücke, die Katharina Weber im Alter von etwa 13 Jahren mit der Klavierlehrerin Janka Wyttenbach, der Frau des Komponisten Jürg Wyttenbach, gespielt hat. «Wir spielten die Klavierstücke von Cage, die ich zuerst auf dem normalen Flügel zuhause geübt hatte, im Konservatorium dann auf dem präparierten Flügel – und es klang so anders, das war ein wirklich besonderes Erlebnis.»

Nun nimmt Katharina Weber in ihrer Komposition Bezug auf John Cage, indem sie den Klavierklang mit Magneten an den Saiten verfremdet, wie Cage dies in den «Sonatas and Interludes» entwickelt hatte. Cage sei ihr auch wichtig, «weil er lehrte, den Zufall anzunehmen». Sie wolle aber keineswegs das Monument der Moderne gegen die beiden der Vergangenheit, Beethoven und Mozart, ausspielen. Sie versuche vielmehr, diese drei zusammenzubringen.

Gut einen Monat nach den Weihnachtsferien hat Katharina Weber einiges festgelegt. Die Streicherklänge, die die Familie repräsentieren, sollen harmonische Strukturen ergeben. Die Klarinette als Soloinstrument soll hingegen melodisch wirken und Bewegung hineinbringen – «als Individuum, das kämpft und den Weg sucht». Sie setze aber auch den Kontrabass als Gegensatz zur «Familie» von Geige, Bratsche und Cello ein, entsprechend zum Hauptmann, der Dursli als Söldner anheuert. Dass der Vater sein Töchterchen partout nicht hergeben will und Dursli trotzdem das erstrebte Ziel nicht aufgibt, will die Komponistin im gesamten Stück «mit Flageolett-Tönen der Geige andeuten, die sehr fern wirken, einer Ebene des Himmelweiten».

Katharina Weber versucht sich nun vorzustellen, wie die einzelnen Instrumente tönen sollen und kontrolliert dann am Klavier nach; auch die Töne, die sie bereits notiert hat. So lange, bis die verwendeten Töne und Rhythmen «verhäbe», wie sie lachend erklärt. «Der Tonraum der ‘Familie’ etwa ist zunächst recht eng und weitet sich dann durch den Kontrabass, der tief hinab geht.» Von der letzten Strophe, die derart aus dem Rahmen eines Volklieds hinausgehe, dass Katharina Weber sie gleich vorsingt, möchte sie den ganzen Text verwenden, gesprochen oder gesungen oder gar als Sprechgesang:’U wenn der Himmel papierge wär/u jede Stern ä Schriber wär/u jede Schriber hätt siebe, siebe Händ,/si schribe doch all meiner Liebi kes End‘. «Von den anderen zehn Strophen möchte ich nur wenige Worte verwenden, so dass man die Geschichte gerade noch erraten kann.»

Zur Zeit des Gesprächs ist vieles erst skizziert, es kann sich also noch einiges ändern. Trotzdem erwartet Katharina Weber, dass etwas ihr Stück auf eine Weise prägen werde, die typisch für Kompositionen von ihr ist: «Der harmonische Raum, den ich mit den Streichern schaffen möchte, ähnelt demjenigen eines anderen Stücks von mir, in dem jedoch eine Flöte die solistische Rolle spielt». Katharina Weber ist sich zudem sicher, dass es eine bis ins Detail festgelegte Komposition werden wird, obwohl sie sich auch mit improvisierter Musik einen Namen geschaffen hat. «Es wäre schwierig, Freiraum zu lassen; auch weil es ein relativ grosses Ensemble ist und nur kurze Zeit (für die Probe) besteht.» Sie habe eine klare Vorstellung, wie ihre Komposition tönen müsse. «Und doch bin ich jedes Mal erfreut, wenn ich dann die wirklichen Klänge der Instrumente, ihre Sinnlichkeit, höre.»

Katharina Weber wurde 1958 in Bern geboren. Sie studierte in Basel und Bern Klavier mit Jürg Wyttenbach, Urs Peter Schneider, Erika Radermacher und Jörg Ewald Dähler. Zudem besuchte sie Meisterkurse mit Yehudi Menuhin, György Kurtág, Pauline Oliveros, Fred Frith, Alex von Schlippenbach, Barre Phillips u.a. Katharina Weber unterrichtet Klavier und Improvisation an der Musikschule Konservatorium Bern sowie an der Hochschule der Künste Bern. www.katharinaweber.ch

Schweizer Beethoven-Reflexionen: Ein Projekt von Murten Classics und der SUISA zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven

Ludwig van Beethoven hatte nur wenig mit der Schweiz zu tun. Aber er hat «Sechs Variationen über ein Schweizerlied» geschrieben, bei dem es sich um das Volkslied «Es hätt e Bur es Töchterli» handelt. Dies ist der Ausgangspunkt für Kompositionsaufträge, die die Sommerfestspiele Murten Classics zusammen mit der SUISA an acht Schweizer Komponistinnen und Komponisten verschiedener Generationen, Ästhetik und Herkunft vergeben haben.

Oscar Bianchi, Xavier Dayer, Fortunat Frölich, Aglaja Graf, Christian Henking, Alfred Schweizer, Marina Sobyanina und Katharina Weber konnten sich auf die Variationen, auf das von Beethoven verwendete Volkslied selbst oder auf Beethoven im Allgemeinen beziehen. Die Kompositionen wurden für das Ensemble Paul Klee geschrieben, das folgende Maximalbesetzung erlaubt: Flöte (auch Piccolo, G- oder Bassflöte), Klarinette (in B oder A), Violine, Viola, Cello, Kontrabass und Klavier.

Initiant dieses 2019 begonnenen Projekts war Kaspar Zehnder, der während 22 Jahren künstlerischer Leiter von Murten Classics gewesen war. Wegen der Corona-Krise und den von den Behörden verordneten Massnahmen war die Durchführung sowohl der 32. Ausgabe im August 2020 als auch des vorgesehenen Ersatzfestivals in den anschliessenden Wintermonaten nicht möglich. Der «SUISA-Tag» mit den acht Kompositionen dieses Projekts wurde – ohne Publikum – am 28. Januar 2021 im KiB Murten dennoch aufgeführt und aufgezeichnet. Die Aufnahmen waren bei Radio SRF 2 Kultur in der Sendung «Neue Musik im Konzert» zu hören und sind auf der Plattform Neo.mx3 erschienen. Im SUISAblog und auf den Social Media-Kanälen der SUISA ist das Projekt mit multimedialen Beiträge online dokumentiert.

www.murtenclassics.ch

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