Wurde Hanery Amman nach seinen Träumen befragt, dann antwortete er stets das Gleiche: Er hoffe, bis zum Ende seines Lebens Musik machen zu können. Und auch wenn dieses Leben nicht immer gerecht zu ihm war und immer wieder neue Katastrophen und Enttäuschungen für ihn bereit hielt, blieb ihm zumindest das vergönnt: Er machte bis zuletzt das, was ihm am liebsten war – er machte Musik.
Es wäre vermessen zu behaupten, dass er dabei eine überdurchschnittliche Produktivität an den Tag gelegt hätte. Dafür hatte er zu sehr mit anderem Ungemach zu kämpfen. Von seinem Output wurde in all den Jahren nur ein kleiner Bruchteil veröffentlicht, weshalb anzunehmen ist, dass da irgendwo in Interlaken noch ein berstend voller Archiv-Schatz an Hanery-Amman-Essays und -Etüden auf seine Entdeckung wartet.
Die Seele von Rumpelstilz
Angebahnt wurde seine Musikkarriere indes schon früh. Er spielte schon in der Schule Banjo und Ukulele. Doch im Singsaal des Schulhauses stand dieses Klavier, das den ganzen Werdegang des Hanspeter «Hanery» Amman in andere Bahnen lenken sollte. Er begann darauf zu spielen und spürte schnell, dass sich damit weit grössere Gefühlsregungen erzielen liessen, als mit nasal klingenden Zupfinstrumenten.
Nach einer Lehre als Feinmechaniker und nach einem Abstecher ins Schauspielfach (überliefert ist eine Rolle als General im Stück «Treffpunk Vietnam» am Zürcher Zimmer-Theater), traf er sich 1971 regelmässig mit seinem alten Nachbarn, einem gewissen Urs «Polo» Hofer, zum Musikmachen. Die beiden lebten mit ihren Eltern längere Zeit im selben Haus in Interlaken, Hofers waren Trauzeugen bei der Hochzeit der Ammans, und der sieben Jahre ältere Polo durfte Klein-Hanery zuweilen im Kinderwagen durch die Nachbarschaft schieben.
Damals ahnte noch niemand, dass die beiden bis an ihr Lebensende miteinander verbunden bleiben sollten – mal enger, mal etwas loser – und schon gar nicht, dass in Interlaken dereinst ein Platz nach den beiden benannt werden würde.
Die Aufgaben an ihrem ersten musikalischen Aufeinandertreffen waren klar verteilt. Hanery Amman schrieb die Musik, Polo Hofer die Texte. Hofer war Verkäufer, Sänger und Kühlerfigur, Amman war die Seele des Projekts und prägte den Sound des Mundartrock 1.0 massgeblich. Als musikalische Blaupause diente Udo Lindenberg, der es geschafft hatte, die deutsche Sprache mit der Musik der Zeit zu verquicken. Ziel war es, so etwas auch in Schweizer Mundart möglich zu machen.
Der erste Schweizer Reggae
Rumpelstilz war eine Band, in der diverseste unterschiedliche Kräfte wüteten. Das Tastenspiel des Hanery Amman war beispielsweise von so divergenten Vorbildern wie Elton John und Chick Corea beeinflusst, man bewunderte den Fusion-Jazz-Saxofonisten Jim Pepper ebenso wie Bob Dylan – und weil der Temporär-Perkussionist und spätere Weltmusik-Guru Res Hassenstein auch mit der karibischen Musik vertraut war, beschloss man, auch den Reggae ins Stilrepertoire aufzunehmen.
In dieser Zeit entstanden die ersten grossen Hits aus der Feder des Hanery Amman: «Teddybär» (offiziell der erste Mundart-Reggae) oder der Sechseinhalbminüter «D Rosmarie und i», dem Amman ein signifikant-perlendes Piano-Intro voranstellte, um im Solo in der Mitte des Stücks auf engstem Raum von Boogie über Blues zum Jazz zu schwenken. Er mochte das Fusionieren.
Hanery Amman bezeichnete die Jahre mit Rumpelstilz später als die prägendsten seiner Karriere. Sie seien eine Multikulti-Band gewesen, zu einer Zeit, in der es den Begriff noch gar nicht gab, erzählte er gerne. Er habe mit den Rumpelstilz seinen Stil und seine Eigenart sowohl als Musiker wie auch als Komponist entwickelt.
Auflösung von Rumpelstilz
Die Rumpelstilz waren zwar höchst erfolgreich, ein Nationalheiligtum waren sie damals beileibe nicht. Gerade in Hanery Ammans Heimatstadt Interlaken wurde der Mann mit den langen blonden Haaren noch nicht als guter Hirte des helvetischen Liedguts angesehen, sondern als einer, der besser einer anständigen Arbeit nachgehen solle.
1979 führten Spannungen zwischen Hanery und Polo zum Bruch und zur Auflösung der Band, wie es halt so geht, wenn zwei harte Berner-Oberländer-Gringe aufeinanderprallen. In einem Interview nach der Trennung erklärte Hanery den Streit folgendermassen: «Wir waren zwei Leithammel in einer Band. Polo Hofer ist der Publikumserfolg irgendwann in den Kopf gestiegen. Das hat der Band geschadet.»
Und auch ums Geld ging es: Trotz der grossen Erfolge sei man finanziell immer klamm gewesen, dafür habe niemand eine gute Erklärung gehabt. Mit ein bisschen Distanz beschrieb er das Verhältnis zu Hofer dann etwas nüchterner: «Wir haben uns gebraucht und ergänzt», im Alter bezeichneten sich die beiden als Freunde.
Ein Hit für die Ewigkeit
Polo Hofer gründete nach der Trennung Polos SchmetterDing, während es Hanery Amman unter eigenem Namen und auf eigene Faust versuchte. 1980 erschien sein in Deutschland produziertes Solo-Album «Burning Fire», die Amtssprache war Englisch, stilistisch frönte er einem munteren Americana-Rock, und in Interviews erklärte er, dass er mit seiner Musik auf Reisen gehen wolle und dass Berndeutsch ohnehin nur bedingt eine Rocksprache sei.
Im Oberland kam das nur bedingt gut an. Dafür spielte er einige Konzerte in Deutschland und Österreich. Daneben komponierte er Filmmusik oder schrieb Lieder für die italienische Schlager-Lady Rita Pavone. Seine Zusammenarbeit mit der deutschen Produktionsfirma kündigte er bald auf, richtete sich in Interlaken ein eigenes Studio ein, gab Konzerte und tat das, was er am liebsten tat: er schrieb Songs.
Einer davon hiess «Kentucky Rose» und wäre womöglich ebenfalls im hauseigenen Archiv verstaubt. Polo Hofer, mittlerweile mit der SchmetterBand unterwegs, stattete den bloss auf einem Demo-Tape festgehaltenen Song mit einem berndeutschen Text aus und landete damit einen der grössten Hits des schweizerischen Musikbinnenmarktes: «Alperose» machte Hofer und Amman unsterblich.
Unter dem bisweilen etwas sturen Oberländer Schädel von Hanery Amman schlug stets ein grosses Herz. Freunde sprechen von einem speziellen, aber höchst liebenswerten Charakter. Stets fallen Attribute wie: direkt, ehrlich, bockig und hochsensibel. Der Mann hatte Humor und liess selbst im grössten Zetern immer wieder seinen Schalk und seine Herzlichkeit aufblitzen.
Was ihm aber gar nicht gefiel, waren musikalische Unkonzentriertheiten: Im Mai 1984 ging er mit der Hanery Amman Band ins Studio, um ein Album einzuspielen. Doch Amman fand das Ergebnis derart schlecht, dass er es nicht veröffentlichen mochte. Der Grund war bald gefunden: Es soll an der Arbeitsweise der Mitmusiker gelegen haben, wie er in einem Interview schimpfte. Die Band habe zu wenig Motivation an den Tag gelegt. Das Ergebnis: Rückzug! Gruppenkonstellation überdenken!
«Chopin des Berner Oberlandes»
Es folgen schwierige Jahre. Hanery Amman erleidet aufgrund einer Operation nach einer Mittelohrenentzündung einen Tinnitus, der ihm das Musizieren lange Zeit fast verunmöglicht. Dennoch spielt er Konzerte, zettelt eine Rumpelstilz-Reunion an und schneidet im Anker Interlaken (er wohnt direkt über dem Konzertsaal) drei Konzerte mit. Das daraus resultierende Tonwerk «Live im Anker» arriviert zu einem der berühmtesten Konzertalben der Schweiz.
Erst im Jahr 2000 erscheint das nächste Solo-Album von Amman. Es heisst «Solitaire», erntet euphorische Kritiken, schafft es aber nicht über Platz 90 der Schweizer Hitparade hinaus. Die Welt hört Manu Chao, Red Hot Chili Peppers oder Britney Spears, Ammans lange zwischengelagerte und sorgfältig ausarrangierte Mundart-Nummern scheinen ein bisschen aus der Mode gefallen zu sein. Und auch die Mediziner haben keine guten Nachrichten für ihn. 2007 wird bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert. Eine Krankheit, die ihm nun, zehn Jahre später – und fünf Monate nach Polo Hofer –, das Leben gekostet hat.
Sein Verhängnis hat er nie beklagt, auch wenn ihm sein Leben «einen Schicksalstätsch nach dem anderen» verpasst habe, wie er kürzlich sagte. Im Gegenteil: Er verspüre viel Dankbarkeit. Hanery Amman war nie einer, der sich gerne in den Vordergrund gedrängt hat. Berühmt gemacht haben seine Lieder Polo Hofer, nicht ihn. Das Showbusiness sei die Welt der Hochstapler und Blender, so seine Diagnose, er habe sich darin nie richtig wohl gefühlt.
Am wohlsten fühlte er sich, wenn er sich an einen Flügel setzen und seinen Fingern beim Spielen zuhören konnte. Er hat das meist in der Nacht getan (öfter auch nackt, wie er einmal verriet) – es war seine Meditation gegen die Launen der Welt. «Wenn dich alles ‹versecklet› , hast du am Schluss noch die Musik», lautete seine Devise.
Hätte man ihm jemanden zur Seite gestellt, der seine Arbeit ein bisschen geordnet, und ihm die immer wieder aufkommenden Selbstzweifel genommen hätte, der Mann, der von Polo Hofer als «Chopin des Berner Oberlandes» bezeichnet wurde, hätte ein weit grösseres Œuvre hinterlassen. Doch mit Beratern hatte es der Interlakner nicht so.
Trotzdem: Was er veröffentlicht hat, ist im Langzeitgedächtnis der Schweizer Mundartmusik abgespeichert. Bis zuletzt arbeitete er an einem Instrumental-Album, von dem er hoffte, dass er es vor seinem Tod noch vollenden könne. Dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. Hanery Amman starb in der Nacht auf Silvester im Alter von 65 im engsten Familienkreis.
Wie sang er auf seinem Solo-Album «Solitaire» so schön: «U we de meinsch, die Wält göng under, de si d Stärne geng no da». Nun leuchtet da ein Stern mehr am Firmament.
Dieser Nachruf von Ane Hebeisen ist in ähnlicher Form Anfang Januar 2018 bei Der Bund und Tages-Anzeiger erschienen.