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«Der Funke ist eigentlich das Interessante an der grossen Explosion»
Fortunat Frölich erläutert im Mai 2020 seine Komposition «Lövschtori».
Foto: Manu Leuenberger
Text von Gastautor Markus Ganz; Video von Mike Korner
Fortunat Frölich hat für das Kompositionsprojekt «Schweizer Beethoven-Reflexionen» mit Gegensätzen gearbeitet. Er bezieht sich auch auf den Inhalt des originalen Volksliedes «Es hätt en Bur es Töchterli».

Fortunat Frölich wohnt und arbeitet im Haus der Grosseltern in Zürich, wo die klassische Musik stets eine grosse Rolle spielte. «Trotzdem würde ich sagen, dass ich nicht speziell gefördert worden bin», erklärt der in Chur geborene und aufgewachsene Komponist zur Frage der Berufswahl. «Letztlich war es meine Entscheidung.» Schon als Bub sei er von einer Aufführung der «Matthäus-Passion» in der Martinskirche in Chur so ergriffen gewesen, dass dies vermutlich den Weg für seine Laufbahn gelegt habe. «Aber einen Weg mit langen Umwegen, Krisen auch, als ich nicht mit klassischer Musik weitermachen wollte.» So wechselte er zur Popmusik, integrierte dann aber wieder das als Kind gelernte Cello, weil er «etwas Anderes» machen wollte. Seit er als 17-Jähriger begann, die Welt zu bereisen, beeinflussen ihn auch andere Musikkulturen.

«Aus all dem hat sich ein Komponieren ergeben, das sich nie wirklich einer Richtung verschrieben hat.» Dies sei damals noch ein Problem gewesen, weil man zwischen Stuhl und Bank gefallen sei, was sowohl das Publikum als auch die Unterstützung betroffen habe. «Ich habe es aber unehrlich gefunden, einen einheitlichen Stil zu pflegen und mir gleichzeitig Pink Floyd, Bach und romantische Kompositionen anzuhören, Jazz zu machen und freie Improvisation zu lieben, Pop natürlich auch. Das musste für mich irgendwie alles aufgefangen werden, wenn ich kreativ wurde.»

Fortunat Frölich hat schon vor dem Auftrag für die «Schweizer Beethoven-Reflexionen» drei Werke komponiert, die sich auf Beethoven beziehen. Er betrachte sich aber weder als Beethoven-Spezialisten noch als Musikwissenschaftler. Trotzdem finde er, dass Beethoven zwar grandiose Werke komponiert habe, diese Variationen über ein Schweizerlied aber eher «eine Fingerübung» seien. «Ich verstehe nicht, wieso er dieses Volkslied abänderte, sich daraus aber beispielsweise keine andere Harmonie ergeben hat.» Variationen könne man durchaus als Übung der Kreativität betrachten: Wie viel Fantasie habe ich, dasselbe auf zehn verschiedene Arten zu sagen? «Das war für mich aber ein etwas langweiliger, allzu klassischer Ansatz.»

Da spiele etwas Biederes mit, fährt Fortunat Frölich nachdenklich fort. «Und da ist dieses Volksliedlein und das Geschichtlein, das ja auch voll banal ist: Mäitli und Bueb, die sich nicht kriegen, und er zieht in den Krieg und so.» Er habe lange nicht verstanden, was an der Biederkeit interessant sein soll. Die Epoche des Biedermeiers verstehe man erst richtig, wenn man verstehe, «dass der Funke eigentlich das Interessante an der grossen Explosion ist. «Im Grunde trägt alles dieses Paradox in sich – gleichzeitig belanglos und grossartig zu sein. Die Kunst befasst sich mit der Tiefe der Dinge, mit ihrer Bedeutsamkeit.» Die Aufmerksamkeit, die Beethoven der kleinen Melodie aus der Schweiz schenke, sei doch beachtlich und gehe in diese Richtung der Vertiefung eines unbedeutend scheinenden Details. Frölich findet es toll, dass Beethoven «sich doch bestimmt einen ganzen Morgen lang mit diesem Liedlein befasst und daraus etwas macht.» Man merke, dass er das Lied ernst nehme, denn es sei sorgfältig ausgearbeitet. «Und auch andere nehmen es ernst, es wird gespielt und weitergetragen – das ist ganz grossartig.»

Auch diese kleine Liebesgeschichte sei grandios, obwohl es unzählige dieser Art gebe. «Denn wenn es wirklich geschieht, dann ist das, was passiert: grenzenlos.» Das ergebe einen grossen Kontrast zum einfachen Lied, weshalb er dessen einfache Melodie in seine Komposition integriert habe. «Und ich wollte auch die ganze Brisanz, die eben doch in diesem einfachen Lied drin ist, zum Klingen bringen.» Welche Brisanz? Fortunat Frölich antwortet mit gravitätischer Betonung: «Ein Mädchen mit schönen Zöpfen. – Er hat sich verliebt. – Der Vater sagt: Sie ist noch zu jung. – Die Vernunft, die einfährt und alles zunichte macht.»

Zum musikalischen Ansatz meint Fortunat Frölich, er habe es reizvoll gefunden, die sehr gefasste und intellektualisierte Vorgehensweise von Beethoven aufzubrechen, in Beziehung zum Emotionsgehalt zu setzen. Denn es sei doch typisch, dass Beethoven in seinen Variationen die Geschichte nicht erzähle. «Er verwendet einfach die Melodie, aber der Inhalt ist ihm egal. Deshalb erzähle ich die Geschichte, und zwar so ernst, dass die Musiker nicht nur als Instrumentalisten, sondern auch als Performer gefordert sind. Sie müssen quasi mit einem Rap anfangen: Es-hät-en-Pur-es-Töch-ter-li… Den Rest der Geschichte erzähle ich dann mit der Musik – Dursli und Bäbeli verlieben sich ineinander, Dursli hält um Bäbelis Hand an, ‹nein!› sagt der Vater, die Jungen sind verzweifelt, die Kriegstrommeln, die schon die ganze Zeit latent im Hintergrund vorhanden sind, werden lauter, verschlucken schliesslich alles. Dann – als Abspann – die verklärte Nostalgie, mit der ganzen Verzweiflung, dass Liebe immer so weh tut.»

Besonders fasziniert hat Fortunat Frölich die Metrik des Volksliedes: «Auf zwei 3er-Takte folgt ein 4er, zum Abschluss wieder ein 3er». Diese für ein Volkslied doch recht ungewohnte Form werde erst ersichtlich, «wenn man die durchgängig im 2/4-Takt notierte Melodie in ihre Phrasen aufteilt: tagetege ta-te ta , tagetege ta-te ta , tagetege tagetege tagetege ta-te ta. Deshalb war mir klar, dass das Stück zu Beginn am Klavier in diesen Rhythmus hineinkommen muss, denn das ist bereits das Kriegsmotiv, auch das Motiv des Weggehens.» Dann komme die Passage des Verliebens mit einer delikaten Stelle der künstlerischen Umsetzung: «ein ziemlich deftiges Duett von Flöte und Cello». Er fordere die Musiker mit seinem Stück heraus, das leicht szenisch, fast schon eine Oper sei. «Es reizt mich, am Stil des klassischen Konzertes zu kratzen.»

Ein Ausschnitt seiner in Indien geschriebenen Komposition deutet an, dass Fortunat Frölich wiederum mit einer gewissen Widersprüchlichkeit arbeitet. «Es geht ins Chaos, klingt aber auch süss und brav», bestätigt er. «Ich arbeite mit Polaritäten, um Spannung zu erzeugen. Mich interessieren die Kontraste und die Übergänge dazwischen. Die Übergänge sind vielleicht das Interessanteste an meiner Musik. In diesem Bereich, wo ich selber nicht weiss, wie ich von A nach B komme, weil die Positionen so weit von einander entfernt sind, weil A vielleicht die Vernunft des Vaters ist und B die Verzweiflung und Wut der Jungen – in dieser Polarität errege ich mich und werde kreativ.» Er langweile sich schnell, wenn er eine musikalische Entwicklung voraussagen könne. Entsprechend wollte er sich auch stilistisch nicht festlegen. «Den Anspruch, in einem bestimmten Stil zu schreiben, habe ich immer abwegig gefunden. Ich liebe stilistische Verkrallungen.»

Wie in einigen seiner neueren Werke setzt Fortunat Frölich auch hier rhythmisierte Stimmgeräusche der Musiker ein. «Ich mache das, um die Musiker noch persönlicher mit dem Inhalt meiner Kompositionen zu verbinden und damit die Musiker das Publikum noch direkter ansprechen» Er verstehe dies auch ein wenig als Provokation, um das «Klassische» aufzubrechen, «wo alles so geordnet ist und der Inhalt manchmal in der Form untergeht». Er wünscht sich denn auch, dass die Musiker auf der Bühne vor allem dies ausstrahlen: «Wir haben Spass daran – und ihr hoffentlich auch». Nachdenklich fügt er hinzu: «Das ist alles. Und das ist viel».

Fortunat Frölich wurde 1954 in Chur geboren. Er studierte in Zürich, Neapel und Leipzig Gesang, Violoncello und Orchesterleitung. Er hat mehrere interkulturelle Projekte realisiert und mit Linard Bardill auch Werke für ein junges Publikum geschaffen. Für die offiziellen Feierlichkeiten zum 150-jährigen Bestehen des Bundestaates erhielt Frölich einen Kompositionsauftrag vom Bundesamt für Kultur. Er hat auch Werke mit den Schriftstellern Urs Widmer («Föhn») und Beat Brechbühl («missaverde») geschaffen. www.fortunatfroelich.com

Schweizer Beethoven-Reflexionen: Ein Projekt von Murten Classics und der SUISA zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven

 

Ludwig van Beethoven hatte nur wenig mit der Schweiz zu tun. Aber er hat «Sechs Variationen über ein Schweizerlied» geschrieben, bei dem es sich um das Volkslied «Es hätt e Bur es Töchterli» handelt. Dies ist der Ausgangspunkt für Kompositionsaufträge, die die Sommerfestspiele Murten Classics zusammen mit der SUISA an acht Schweizer Komponistinnen und Komponisten verschiedener Generationen, Ästhetik und Herkunft vergeben haben.

Oscar Bianchi, Xavier Dayer, Fortunat Frölich, Aglaja Graf, Christian Henking, Alfred Schweizer, Marina Sobyanina und Katharina Weber konnten sich auf die Variationen, auf das von Beethoven verwendete Volkslied selbst oder auf Beethoven im Allgemeinen beziehen. Die Kompositionen wurden für das Ensemble Paul Klee geschrieben, das folgende Maximalbesetzung erlaubt: Flöte (auch Piccolo, G- oder Bassflöte), Klarinette (in B oder A), Violine, Viola, Cello, Kontrabass und Klavier.

Initiant dieses 2019 begonnenen Projekts war Kaspar Zehnder, der während 22 Jahren künstlerischer Leiter von Murten Classics gewesen war. Wegen der Corona-Krise und den von den Behörden verordneten Massnahmen war die Durchführung sowohl der 32. Ausgabe im August 2020 als auch des vorgesehenen Ersatzfestivals in den anschliessenden Wintermonaten nicht möglich. Der «SUISA-Tag» mit den acht Kompositionen dieses Projekts wurde – ohne Publikum – am 28. Januar 2021 im KiB Murten dennoch aufgeführt und aufgezeichnet. Die Aufnahmen waren bei Radio SRF 2 Kultur in der Sendung «Neue Musik im Konzert» zu hören und sind auf der Plattform Neo.mx3 erschienen. Im SUISAblog und auf den Social Media-Kanälen der SUISA ist das Projekt mit multimedialen Beiträge online dokumentiert.

www.murtenclassics.ch

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