Bis 2019 komponierte der 2002 geborene Waadtländer Kornettist und Trompeter Théo Rossier ohne entsprechende Ausbildung. Am Konservatorium Lausanne belegte er dann im Rahmen der Leitung von Bläserensembles erstmals Harmoniekurse. Bereits 2021 wurde sein Werk «Celui qui chuchotait dans les ténèbres» vom Kammerorchester Lausanne ausgewählt, um im Rahmen eines Förderprojekts für Schweizer Komponisten aufgenommen zu werden. Die Idee für dieses Stück in drei Sätzen kam ihm, als er H.P. Lovecrafts «The Whisperer in Darkness» las. «Ich wollte aber nicht die Kurzgeschichte musikalisch beschreiben, sondern vielmehr das, was der Titel für mich evozierte.»
Thematische Verbindungen
2022 gewann Théo Rossier mit dem Werk «Stendhalʼs Syndrome» den ersten Preis des Europäischen Kompositionswettbewerbs für Brass Bands. Mit dem Titel des in der Townhall in Birmingham uraufgeführten Stücks nimmt er Bezug auf eine Reihe von psychosomatischen Störungen, die bei einer Reizüberflutung durch Kunstwerke auftreten können. Théo Rossier dachte dabei an Werke von M. C. Escher «mit ihren unmöglichen Figuren und Oberflächenfüllungen, die faszinieren und hypnotisieren, sobald man sie ansieht». Seit dem erfolgreichen Abschluss seiner kaufmännischen Berufsmatura im Herbst 2022 studiert er Komposition bei Xavier Dayer an der Hochschule der Künste Bern.
Auf Vorlieben und Einflüsse angesprochen, erklärt Théo Rossier, dass er vor allem moderne Musik möge, «insbesonders die von Komponisten wie Olivier Messiaen und Igor Strawinsky». Er finde aber auch das Werk von Johann Sebastian Bach «unglaublich». Er betont zudem, dass er bisher nicht viele Stücke geschrieben und noch nicht einen wirklich reifen eigenen Stil entwickelt habe. «Wenn Leute meine Musik hören, sagen sie meist, dies erinnere sie an diesen oder jenen Komponisten – und ich finde das ganz okay. Aber natürlich versuche ich einen eigenen Stil zu entwickeln.»
Ratschläge des Mentors
Der Auftrag von Murten Classics bedeutet Théo Rossier viel, weil es seine erste Auftragskomposition sei und die Zusammenarbeit mit einem Orchester eine grosse Chance für ihn darstelle. Da er seine Kompositionen gerne thematisch grundiert, fiel ihm der Bezug zum Festivalthema «Geschichten – Histoires» leicht. «Ja, ich liebe Geschichten und möchte mit meinem Stück ‹Satyrus› eine Verbindung zur griechischen Antike herstellen, die eine grossartige Epoche war.» Er finde auch den literarischen Stil der griechischen Komödie interessant und habe sich davon inspirieren lassen, besonders vom mythologischen Mischwesen des Satyrs.
Bevor Théo Rossier im Oktober 2022 zu komponieren begann, überlegte er sich, «was ich während der Aufführung des Werks an Emotionalität auslösen möchte». Dann kreierte er das harmonische Konzept mitsamt Melodien und entwickelte einen Plan, wie er das Stück aufbauen will. Im März 2023 hatte er eine erste Fassung der Partitur fertiggestellt und übermittelte sie seinem Mentor Daniel Schnyder. Dieser habe ihm dann ein erstes Feedback gegeben. «Er gab mir etwa zu verstehen, dass ein Teil zu kompliziert zu lesen sei. Oder er empfahl mir, dass ich an einer Stelle noch weitere Instrumente einsetzen könnte. Er stellte aber auch fest, dass ich die Enharmonik einmal nicht logisch angewendet habe oder der Rhythmus in einer Passage zu hart sei. Oder er empfahl mir, ich soll mir ein bestimmtes Stück anhören.»
Unkonventionelle Spielanweisung
Im April überarbeitete Théo Rossier die Partitur entsprechend dem Input von Daniel Schnyder ein erstes Mal. Wie beim Komponieren half ihm der Computer auch hierzu, weil er verschiedene Möglichkeiten ausprobieren konnte. «Es ist aber nicht die perfekte Lösung, weil ich die Balance zwischen den Instrumenten nicht so hören kann, wie es bei der Interpretation durch das Orchester sein wird. Es ist aber gut, um einen ersten Eindruck zu erhalten, auch um abschätzen zu können, ob etwa ein Teil zu lang wirkt.»
Bei der Uraufführung werden die Stücke der «Young Composers» von traditionellen Werken von Archangelo Corelli und Ernest Bloch eingerahmt. Théo Rossier kennt die beiden Werke – und liess sich davon «ein bisschen» inspirieren. Nicht mehr, weil sie «klar traditioneller als mein Stück sind». Sein Stück werde passend zur titelgebenden Figur des Satyrs «wie ein wilder Tanz» wirken. «Ich verwende zudem ungewöhnliche Instrumente wie eine Weinflasche», erklärt er vieldeutig.
Was das konkret bedeutet? «Der Perkussionist setzt den Sound einer Flasche ein, und er nutzt sie nur einmal (lacht). Nun, es geht um den Sound einer zerberstenden Flasche.» Da fragt sich, wie er dies in der Partitur notiert. «Es steht dort die Anweisung an den Perkussionisten: ‹zerbreche die Flasche›». Auch den anderen Musikerinnen und Musikern möchte er einigen Raum für die Interpretation gewähren. Wichtig ist Théo Rossier aber vor allem eines: «Ich hoffe, dass am Konzert alle Freude an meinem Stück haben werden».
Youtube-Kanal von Théo Rossier: www.youtube.com/@theorossier166
Jubiläumskonzert zu 100 Jahre SUISA am Festival Murten Classics 2023
Murten Classics hat letztes Jahr die vier jungen Schweizer Talente Pascal Bachmann (*2006), Joëlle Nager (*2000), Théo Rossier (*2002) und Arseniy Shkaptsov (*1993) beauftragt, zum Festivalthema «Geschichten – Histoires» je eine maximal achtminütige Komposition für Streichorchester, Klavier, Harfe und zwei Schlagzeuge zu schreiben. Ausgewählt wurden die vier «Young Composers» von dem Dirigenten Christoph-Mathias Mueller, der auch künstlerischer Leiter von Murten Classics ist, und dem «Senior Composer» Daniel Schnyder. Letzterer begleitet die «Young Composers» während des Kompositionsprozesses als Mentor. Der 1961 in Zürich geborene und seit 1992 in New York City lebende Saxofonist und Flötist gilt als einer der vielseitigsten Komponisten seiner Generation.
Unter dem Titel «Aus der Werkstatt geplaudert» findet am Samstag, 26. August um 14 Uhr in der Deutschen Kirche Murten eine öffentliche Generalprobe mit Gesprächen statt. Ein Ticket zum Konzert von Sonntag, dem 27. August berechtigt zu dieser öffentlichen Probe in Anwesenheit der Komponistin und der Komponisten. Das Konzert mit den Uraufführungen beginnt am Sonntag um 20 Uhr im idyllischen Schlosshof. Die Werke der Young Composers werden von Arcangelo Corellis «Concerto grosso op. 6, Nr. 4» und Ernest Blochs «Concerto grosso No. 1» eingerahmt. Interpretiert wird das Programm durch das Hilaris Chamber Orchestra, das erweitert wird mit Isabel Goller (Harfe), Kiril Zvegintsov (Klavier), Jens Ruland (Schlagzeug) und João Carlos Pacheco (Schlagzeug); als Dirigent wirkt Christoph-Mathias Mueller.
Tickets ab dem 1. Juni und weitere Infos: www.murtenclassics.ch