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«Intuition und emotionale Wirkung sind für mich wichtiger als starre Konzepte»

«Intuition und emotionale Wirkung sind für mich wichtiger als starre Konzepte»
«Jeder Film ist äussert individuell, deshalb suche ich für jeden Film eine eigene musikalische Sprache», erklärt Balz Bachmann.
Foto: Patrick Hari
Gastautor Markus Ganz im Gespräch mit Balz Bachmann.
Die FONDATION SUISA zeichnet Balz Bachmann mit dem Filmmusikpreis 2017 für seine Originalkompositionen zu Wilfried Meichtrys Dokumentarfilm «Bis ans Ende der Träume» aus.

Balz Bachmann, wie kam es, dass Sie die Filmmusik zu Wilfried Meichtrys Dokumentarfilm «Bis ans Ende der Träume» schaffen konnten?
Balz Bachmann: Es war das erste Mal, das ich mit Wilfried Meichtry gearbeitet habe. Und es war sein Debüt als Regisseur, denn bislang hatte der promovierte Historiker im Filmbereich nur als Drehbuchautor gewirkt. Wir kamen an den Solothurner Filmtagen ins Gespräch und redeten bald über die Thematik des Filmprojektes, aber auch über die Art einer möglichen Zusammenarbeit. Nach weiteren Gesprächen mit Involvierten erhielt ich das Drehbuch, las es und diskutierte mit Wilfried Meichtry, dem Produzenten Urs Schnell (DokLab GmbH, Bern) und der Editorin Annette Brütsch.

Wie begannen Sie konkret mit der Arbeit?
Zunächst war es der klassische Ablauf: Ich bekam gewisses Filmmaterial, manchmal grob geschnitten, damit ich ein Gefühl für die Grundstimmung erhielt. Dann begann ich, musikalische Skizzen zu erstellen, schickte sie in den Schnitt. Wir haben dann geschaut, wo im Zusammenspiel mit dem Bild was geschieht. So entstand eine Art Ping-Pong zwischen meiner Musik und dem Schnitt, das eine reagierte auf das andere und umgekehrt.

Was war speziell?
Ich musste eine Dramaturgie finden für eine komplexe Kombination von sowohl dokumentarischem als auch fiktionalem Bildmaterial. Die Herausforderung war, trotzdem einen dramaturgischen Bogen über den ganzen Film zu schaffen. Es war eine enge Zusammenarbeit mit der Editorin, dem Regisseur und mir, um herauszufinden, was es dazu braucht. Zu Beginn dachten wir, dass etwa 25 Minuten Musik reichen sollten (der Film ist 82 Minuten lang). Aber wir merkten, dass das Bildmaterial relativ statisch ist, weil es viele Fotos enthält, und auch bewusst so inszeniert wurde, auch in den fiktionalen Teilen. Entsprechend wurde uns bewusst, dass es dort eine Bewegung braucht, eine weitere Ebene, die die Geschichte miterzählt und kommentiert: mehr Musik.

Haben Sie zu Beginn eine passende Sound-Bibliothek für die Filmmusik zusammengestellt?
Das wär ein interessanter Ansatz gewesen, doch ich habe es anders gemacht. Ich muss jeweils ausprobieren, wie Bild und Ton zusammenkommen. Ich versuche intuitiv herauszuspüren, was mit mir als Zuschauer geschieht, wenn ich gewisse Stimmungen, Klangfarben und musikalischen Themen einsetze. Bei diesem Film suchte ich eine breite Palette an Klangfarben, um die unterschiedlichen Zeiten und Orte erlebbar zu machen. Ich habe auch stilistisch bewusst sehr unterschiedliche Elemente eingesetzt: klassische Teile mit Bratsche etwa, aber auch solche, die Bezug auf die Orte nahmen, mehr musikalisch als klanglich. Denn ich wollte nicht das Klischee der Ethno-Musik.

«Man muss eine eigene musikalische Sprache entwickeln für einen Film, und das ist nur möglich, wenn man Musik extra dafür komponiert.»

Keine folkloristische Südsee-Romantik also für den Ort, wo sich die beiden Protagonisten kennen- und lieben lernten?
Genau, die Musik sollte auch dort eine eigene Erzählform sein, in der der Ort wohl mitschwingt, aber eigenständig umgesetzt wird. Deshalb reicht die Palette der von mir eingesetzten Filmmusik bis zu rein elektronischer Musik, die beispielsweise einen interessanten Kontrast zur alten Frau schafft. Ich war mir lange nicht sicher, ob dies funktioniert, ob man es als Zuschauer glaubt. Das ist bei der Filmmusik ähnlich wie beim Schauspiel: Man nimmt eine Person wahr und muss von ihr eingenommen werden, ohne zu realisieren, dass diese gespielt wird. So muss einen die Musik emotional in den Film hineinsaugen, das ist mein oberstes Gebot.

Haben Sie dokumentarisches und fiktionales Material anders vertont, um den Unterschied zu verdeutlichen?
Nein, ich habe im Gegenteil versucht, die beiden Arten von Material zu verbinden oder überlappen zu lassen. Ich wollte, dass sie fliessend ineinander übergehen, damit man als Zuschauer unmerklich aus den dokumentarischen in die fiktionalen Szenen hineinkommt.

Was halten Sie von den zwei grundsätzlichen Ansätzen der Filmmusik, dass diese entweder verstärkend oder kontrastierend wirken soll?
Ich habe nicht gerne starre oder rein theoretische Musik-Konzepte, ich liebe intuitives Erarbeiten. Jeder Film ist äusserst individuell, stellt eine eigene Welt dar, deshalb suche ich für jeden eine eigene musikalische Sprache. Deshalb gibt es ja überhaupt Filmmusik, obwohl es sehr viel bereits existierende Musik gibt. Aber dies ist genau der Punkt: Man muss eine eigene Sprache entwickeln für einen Film, und das ist nur möglich, wenn man Musik extra dafür komponiert.

Dann arbeiten Sie wohl auch nicht mit «Temp Tracks» (provisorischer Soundtrack mit bereits existierender Musik, um die Wirkung des vorliegenden Filmmaterials testen zu können)?
Für einen Filmkomponisten wie mich ist dies natürlich ein Reizwort (lacht). Vor allem Editoren setzen sie für die Rhythmisierung der Bilder ein oder weil sie Angst haben, dass eine Szene nicht trägt. Ich halte solche Argumente für nicht richtig, weil man meiner Meinung nach den Rhythmus der Bilder ohne provisorische Musik besser wahrnimmt. Deshalb finde ich es sinnvoller, wenn man es «trocken» ohne Temp-Track macht. Es gibt auch die meiner Meinung nach sehr interessante Möglichkeit, allein auf die Grundlage eines Drehbuchs zu komponieren, ohne dass man Bilder hat. Ich als Komponist kann dann aus der Vision schöpfen, die ich mir durch das Lesen des Drehbuchs zu dieser Geschichte mache. Ich erhalte dadurch viel Raum und Freiheit.

Sie können sich dann eine eigenständigere Ebene schaffen, die nicht schon durch Bilder vorgeprägt ist?
Genau. Der zweite Vorteil ist, dass man bereits während des Schnitts mit dafür geschaffener Musik arbeiten und ausprobieren kann, wie sie wirkt. Der dritte Vorteil ist, dass man von Beginn weg eine grosse Eigenständigkeit hat. Denn der grosse Nachteil von Temp-Musik ist, dass sie – speziell für den Regisseur und den Editor – unweigerlich zu einer Referenz wird, von der man sich kaum mehr lösen kann. Der Mensch verbindet die beiden Ebenen von Bild und Ton automatisch auf emotionale Weise, weshalb es sehr schwierig ist, diese wieder voneinander zu trennen.

«Im Dokumentarfilm muss man die Dramaturgie anders entwickeln als bei einem Spielfilm, wo die Szenen und die Dramaturgie schon viel stärker durch das Drehbuch vorgegeben sind.»

Der Soundtrack ist immer auch ein Mittel, um den Zuschauer zu unterstützen beim Erzählen der Story. Verknüpfen Sie Figuren und Orte mit Sounds und Motiven?
Ja, ich verwende in fast jedem Film Motive, die für etwas stehen und sich wiederholen, was den Zuschauern die Orientierung erleichtert. Wenn man eine Szene mit einer Musik erlebt hat und sich die Musik später wiederholt, erhält man automatisch und schnell einen Zugang zur nächsten Szene, weil sie verknüpft wird. Und deshalb ist es oft auch ein Einstieg in ein Projekt, dass ich bei einem Ort oder einem Charakter einhake. Je mehr ich mich auf einen Charakter einlasse und ihm musikalisch etwas zuordne, desto mehr verstärkt dies die Struktur des Films, vor allem auf emotionaler Ebene.

Geschieht ein Grossteil Ihrer Arbeit parallel zum Schnitt?
Ja, das ist in der Regel so, aber nicht in dem grossen Mass wie beim Film «Bis ans Ende der Träume». Hier lief die Arbeit an der Musik und am Schnitt während fast eines halben Jahres fast synchron ab und war auch fast gleichzeitig fertig. Der Grund dafür war, dass sich der Schnitt stärker als üblich an der Musik orientiert hat. Im Dokumentarfilm muss man die Dramaturgie eben anders entwickeln als bei einem Spielfilm, wo die Szenen und die Dramaturgie schon viel stärker durch das Drehbuch vorgegeben sind.

Die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und der Editorin Annette Brütsch war also sehr rege?
Ja, denn es ist ein Prozess, bei dem der Schnitt und die Musik gegenseitig aufeinander reagieren. Reagieren müssen, denn es gab sehr verschiedene thematische Blöcke: etwa die Reisen und die Jahrhunderte alte Benediktiner-Priorei in der Westschweiz, in das sich die Frau später völlig zurückzog – gewissermassen das Gegenteil, denn in jungen Jahren war sie ohne Geld alleine in Ländern gereist, wo Frauen das sonst nicht taten. Wir merkten, dass das marode Haus eine Atmosphäre braucht. Aber es war auch klar, dass melodische Musik zu viel Raum einnehmen, zu viel erzählen würde. Ich fand es zunächst interessant, mit dem Raumklang des Hauses etwas zu machen. Aber ich merkte, dass der Raum allein es nicht ausmacht. Es lief darauf hinaus, dass ich einen speziellen statischen Klang für dieses Haus schuf.

Wie sind Sie mit der Herausforderung umgegangen, über 82 Minuten einen Spannungsbogen zu schaffen?
Es ist wichtig, dass man sich bei den Visionierungen den Film am Stück ansieht, weil ich stets nur an einzelnen Szenen arbeite. Dann merkt man sofort, wenn am Rhythmus des Films etwas nicht stimmt, denn der ist ausschlaggebend. Und wir stellten irgendwann fest, dass man immer dann ein bisschen in ein Loch fiel, wenn keine Musik mehr zu hören war. So ergab es sich, dass immer mehr Musik dazukam – nun sind es etwa 60 Minuten, was sehr viel ist, zumal ich normalerweise Filme mit wenig Musik lieber mag. Aber in diesem Film machte es einfach Sinn, weil es ein wichtiges Element, um Emotion zu vermitteln.

Anderhalb Stunden sind nicht nur die übliche Länge von Kinofilmen, sondern auch von Konzerten. Sie sind auch als Live-Musiker tätig, etwa in der Band von Sophie Hunger: Gibt es Parallelen?
Was vergleichbar ist, ob bei einer Aufführung als Konzert oder als Film im Kino: Ich bin genauso aufgeregt. Denn ich höre die Musik ganz anders, wenn Publikum anwesend ist, ich habe meine Fühler viel weiter offen. Was anders ist bei einem Film wie zum Beispiel «Bis ans Ende der Träume»: Ich hatte ein halbes Jahr Zeit, um eine Dramaturgie aufzubauen.

Beeinflusst ihre Erfahrung als Live-Musiker auch ihre Arbeit an Soundtracks?
Auf jeden Fall. Als Live-Musiker geht es um Glücksmomente, bei denen etwas Spezielles entsteht. Und die suche ich auch in der Filmmusik.

Balz Bachmann (geb. 1971 in Zürich) ist gelernter Drucker und studierte an der Swiss Jazz School Bern Kontrabass. Seit 1997 komponiert er hauptberuflich für Spiel- und Dokumentarfilme, darunter «Yalom`s Cure (2015)», «Die Schwarzen Brüder» (2013), «Eine wen iig, dr Dällebach Kari» (2012), «Day is Done» (2011), «Giulias Verschwinden» (2009), «Sternenberg» (2004) und «Ernstfall in Havanna» (2002). Balz Bachmann ist auch als Musiker tätig und spielte viele Konzerte u.a. mit Sophie Hunger und Band. Er ist zudem Präsident der Smeca, des Berufsverbands der Schweizer Medienkomponisten.
Balz Bachmann erhielt den Filmmusikpreis der Fondation SUISA bereits 2003 (zu «Little Girl Blue») und 2006 (zu «Jeune homme», zusammen mit Peter Bräker, der zusammen mit Michael Künstle auch an der Entwicklung der musikalischen Themen zum aktuellen Film «Bis ans Ende der Träume» beteiligt war). Die Auszeichnung ist mit 25 000 Franken dotiert und wird jährlich alternierend in der Kategorie Spielfilm oder Dokumentarfilm vergeben.
Der Film «Bis ans Ende der Träume» erzählt sowohl in dokumentarischen wie auch in fiktionalen Sequenzen die Geschichte der Schweizer Reisejournalistin Katharina von Arx (1928 – 2013) und des französischen Fotografen Freddy Drilhon (1926 – 1976). Die beiden waren Abenteurer, Weltenbummler und Liebende. Das Paar lässt sich in einer Klosterruine in der Westschweiz nieder und steht bald vor der Frage, wie stark Liebe denn ist. Der Film soll 2018 in die Kinos kommen.

Informationen zum Filmmusikpreis der FONDATION SUISA
Video-Beitrag zum Filmmusikpreis 2017 der FONDATION SUISA auf Art-tv.ch

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